„Von guten Mächten“ – nach 80 Jahren
"Hier noch ein paar Verse, die mir in den letzten Abenden einfielen. Sie sind der Weihnachtsgruß für Dich und die Eltern und Geschwister" schreibt Dietrich Bonhoeffer am 19. Dezember 1944 aus dem Kellergefängnis der Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße an seine Braut Maria v. Wedemeyer.
Wie konnte in der Zentrale des Todes ein so stilles zuversichtliches Gedicht entstehen? fragt Jürgen Henkys in seiner Auslegung der Gefängnisgedichte Dietrich Bonhoeffers (Geheimnis der Freiheit, Gütersloh 2005) und: wie ist es möglich, dass dieses so persönliche Gedicht eine beispiellose Verbreitung erfahren konnte?
"Von guten Mächten wunderbar geborgen" - der letzte Vers dient in der säkularen Gesellschaft als Sinnspruch auf Traueranzeigen und als Trostwort. In mehr als 80 Vertonungen werden Dietrich Bonhoeffers Worte in vielen Sprachen gesungen. Was bedeuten sie für uns heute?
Von guten Mächten treu und still umgeben
behütet und getröstet wunderbar, -
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr;
noch will das alte unsre Herzen quälen
noch drückt uns böser Tage schwere Last,
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das Du uns geschaffen hast.
Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus Deiner guten und geliebten Hand.
Doch willst Du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann woll’n wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört Dir unser Leben ganz.
Lass warm und hell die Kerzen heute flammen,
die Du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen!
Wir wissen es, Dein Licht scheint in der Nacht.
Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all Deiner Kinder hohen Lobgesang.
Von guten Mächten wunderbar geborgen
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen,
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
Begleitung auf dem Weg
In seinem Weihnachtsbrief am 19. Dezember 1944 schreibt Dietrich an Maria, er habe sich noch keinen Augenblick allein und verlassen gefühlt: „Du, die Eltern, Ihr alle, die Freunde und Schüler im Feld, Ihr seid mir immer ganz gegenwärtig. Eure Gebete und guten Gedanken, Bibelworte, längst vergangene Gespräche, Musikstücke, Bücher bekommen Leben und Wirklichkeit wie nie zuvor. Es ist ein großes unsichtbares Reichunsichtbares Reich, in dem man lebt und an dessen Realität man keinen Zweifel hat.“ Das sind die „guten Mächte“, die ihn umgeben (1. Strophe).
In der letzten Strophe ist es dann Gottes Nähe, die ihn begleitet. Dorthin führt der Weg durch das Leiden mit der schweren Last der bösen Tage und dem bitteren Kelch. Das Böse wird nicht ausgeblendet, aber nicht dualistisch den guten Mächten entgegengestellt. Die Macht des Bösen ist zeitlich begrenzt durch das „noch“. Überwunden wird es im „doch“ der vorweggenommenen Freude und der Gewissheit, die ihn mit Maria verbindet: „Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.“
Licht aus der Dunkelheit
Die Bitte, wieder zusammengeführt zu werden, bleibt unerfüllt. „Ich verstehe deine Wege nicht, aber du weißt (den) rechten Weg für mich“ heißt es in den Gebeten Bonhoeffers für die Mitgefangenen in Tegel. Die Worte seines Gedichts aber überwinden die hermetische Absperrung der Todeszone. Eberhard Bethge berichtet in seiner Bonhoeffer-Biographe von 1966, der zuständige Gestapokommissar habe ein ‚Faible‘ für Maria gehabt, die von seinem Elternhaus aus die Versorgung Dietrichs mit Paketen übernahm. Bethge schreibt aber auch von einer Hafterleichterung für Bonhoeffer am Jahresende 1944, als er für Befehlshaber der Gestapo, die ihre Haut retten wollen, aufgrund seiner ökumenischen Kontakte zu den West-Alliierten interessant wird. Was war wohl der Grund dafür, dass Dietrich Bonhoeffers Brief in die Freiheit gelangen und Maria erreichen konnte: menschliche Empfindung oder politisches Kalkül bei den in der Gestapo Herrschenden? So wurden die Worte seines Trostgedichts für die Familie und weit darüber hinaus zu einem Licht aus der Dunkelheit.
Psalm von der Führung Gottes
Bereits im Dezember 1945 publizierte der Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf eine Broschüre („Das Zeugnis eines Boten. Zum Gedächtnis von Dietrich Bonhoeffer“) an deutsche Kriegsgefangene in den Lagern der Alliierten Die erste bekannte Vertonung schrieb Otto Abel 1959 für die Schlussrunde einer „Jungen Gemeinde“ in Ost-Berlin (Ev. Gesangbuch Nr. 65). Sie betont das Bekenntnis des Glaubens.
Einen anderen Weg ging Siegfried Fietz 1970 in seiner Sakro-Pop-Version im Parlando einer Ballade im 6/8 Takt. Die letzte Strophe wird zum Chorus. Jürgen Henkys schreibt dazu: „Das Hin und Her zwischen den Einzelstrophen (1-6) und diesem Refrain (7) zerreißt den Gedankengang und verkürzt den Glaubensweg. Die Singepraxis setzt sich über Bonhoeffers Intention hinweg.“
Ein Grund für die weltweite Beliebtheit dieser Melodie ist die emotionale Konzentration auf die Sehnsucht nach Geborgenheit. Neuere Vertonungen unterstreichen den Trost, der in Bonhoeffers Bekenntnis zum persönlichen Gott liegt. Dietrich Bonhoeffer liebte die Psalmen. „Der Glaube an Gottes Führung“ kommt „aller Resignation an der Ohnmacht und am Leiden zuvor“. (Wolf Krötke). Die Bedrückungen durch diese „schwere Last“ werden zu Stationen auf dem Weg zu Gott. Dieser Weg verläuft mitten in der säkularen Welt. Auch für Religionslose öffnet das Vertrauen auf die „guten Mächte“ eine Tür.
Gottfried Brezger, Pfr. i.R.
Vorsitzender Erinnerungs- und Begegnungsstätte Bonhoeffer-Haus e.V.