Stellungnahme (zuerst veröffentlicht in der Printausgabe "Die ZEIT" vom 17.10.2024)
Wider den Mißbrauch Bonhoeffers für Nationalismus und Gewalt
Christliche Nationalisten berufen sich immer häufiger auf Dietrich Bonhoeffer – vor allem in der aufgeheizten politischen Stimmung in den USA. Vor diesem Missbrauch möchten wir auf diesem Wege eindringlich warnen.
Dietrich Bonhoeffer war ein Theologe und Widerstandskämpfer gegen das NS- Regime, der im April 1945 auf Befehl Hitlers hingerichtet wurde. Heute werden sein Leben und sein Werk zunehmend dazu benutzt, politische Gewalt zu legitimieren. Dafür werden historisch falsche Gleichsetzungen zwischen unserer Gegenwart und dem totalitären Nazi-Regime behauptet. Solche Narrative sind brandgefährlich.
Wir, die Unterzeichnenden, sind Wissenschaftler und Kirchenverantwortliche aus den Vereinigten Staaten und Deutschland. In der Sorge um das Gemeinwohl warnen wir vor missbräuchlichem Umgang mit dem Erbe Bonhoeffers. Wir vertreten viele Kolleginnen und Kollegen, die unsere Bedenken teilen.
In den Vereinigten Staaten findet sich die gefährliche Widerstands-Rhetorik, die sich auf Dietrich Bonhoeffer beruft, vor allem in Kreisen, die sich dem christlichen Nationalismus verschrieben haben. Diese Gruppen nutzen die Symbole und die Sprache des christlichen Glaubens, um Macht und Kontrolle über andere zu erlangen. Christlicher Nationalismus ist zwar nicht nur in den Vereinigten Staaten anzutreffen, hat aber seine ganze Brutalität am 6. Januar 2021 beim Sturm auf das US-Kapitol entfaltet. Dieser Tag zeigte, dass auch Christen in ihrem Hass auf politische Gegner und unsere demokratischen Institutionen nicht vor Gewalt zurückschrecken. Vielmehr wurde ihre Verachtung ein demokratisches System, das durch eine friedliche Machtübergabe gekennzeichnet ist, offenkundig.
Auch heute setzen christliche Nationalisten in den USA ihre politischen Gegner mit Nazi-Verbrechern gleich und stellen ihre eigenen militanten Aktionen auf eine Stufe mit dem Widerstand gegen die nationalsozialistische Schreckensherrschaft. Sie missbrauchen Dietrich Bonhoeffers Widerstand gegen Hitlers Regime als Tarnung für ihre Agenda und ihre zunehmende Gewaltbereitschaft.
Dietrich Bonhoeffer setzte sich für Gerechtigkeit und Nächstenliebe ein, insbesondere im Dienste der Schwächsten. Er erkannte die Gefahren des christlichen Nationalismus und sprach sich bereits 1930 gegen ihn aus. In einer Predigt in New York warnte er: Christen sollten niemals vergessen, dass sie nicht nur in ihrem eigenen Volk, sondern in jedem Volk Brüder und Schwestern haben. Wenn das Volk Gottes vereint sei, so verkündete Bonhoeffer, »könnte kein Nationalismus, kein Hass auf Ethnien oder Klassen seine Pläne verwirklichen, und dann hätte die Welt für immer und ewig Frieden.«
Selbst Bonhoeffers eigene Worte haben jedoch die öffentliche Verzerrung seines Lebens und seines Zeugnisses nicht verhindert. Hier sind drei markante Beispiele. Erstens: Der amerikanische Autor Eric Metaxas machte mit seiner populären Biografie Bonhoeffer: Pastor, Martyr, Prophet, Spy (deutscher Titel Bonhoeffer: Pastor, Agent, Märtyrer und Prophet), die gerade im englischen Original sachlich fehlerhaft ist und scharf kritisiert wurde, den Widerstandskämpfer schon 2010 für den christlichen Nationalismus verfügbar.
Im Dezember 2020 beim »Jericho-Marsch« in Washington, der dem Angriff auf das Kapitol vorausging, trat Metaxas mit führenden Vertretern gewaltbereiter Milizen und mit Verschwörungsideologen auf. Gewalttäter, die wegen des Angriffs auf das Kapitol verurteilt wurden, vergleicht er mit Dietrich Bonhoeffer, Martin Niemöller und anderen Widerständlern gegen den Nationalsozialismus.
Sein neuestes Buch, Religionsloses Christentum: Gottes Antwort auf das Böse (2024) beginnt mit dem Satz »Wir sind im Krieg.« Solche Rhetorik verbreitet Metaxas auch in Talkshows und in sozialen Medien – und illustriert sie sogar mit einem Foto, das eine Pistole auf einer Bibel zeigt. Diese Gewaltverherrlichung geht einher mit der Weigerung, zwischen dem heutigen gesellschaftlichen Kontext und Nazideutschland zu unterscheiden. Eric Metaxas ist kein vertrauenswürdiger Erzähler von Bonhoeffers Leben und Lehren.
Zweitens: Das »Project 2025« (ein Plan der Republikaner für den Fall einer zweiten Amtszeit von Donald Trump) ist eine Blaupause für die Umwandlung der USA in einen autoritären Staat. Dieses Dokument, das von vielen einflussreichen konservativen Institutionen mitgetragenen wird, zitiert Dietrich Bonhoeffer schon im Vorwort – und missbraucht seine theologische Idee der
»billigen Gnade«, um den Schutz von Flüchtlingen und die Sorge um die Umwelt zu diskreditieren. Diese perfide Aneignung Bonhoeffers ist ein billiger Trick und sollte als solcher erkannt werden.
Drittens: Im November kommt der Spielfilm »Bonhoeffer: Pastor. Spion. Attentäter« in die amerikanischen Kinos. Er verspricht, die »wahre, unerzählte Geschichte« eines Mannes, »der Liebe predigte und gleichzeitig das Attentat auf einen Tyrannen plante«. In der Werbung stellen die Angel Studios immer wieder den direkten Bezug zur Gegenwart her: »Der Film wirft die Frage auf: Wie weit wirst Du gehen, um für das Richtige einzutreten?«
Im aktuellen, stark polarisierten Klima der Vereinigten Staaten sind dies gefährliche Worte. Denn der Wahlausgang könnte eine noch nie dagewesene Welle der Gewalt nach sich ziehen. Jeder Versuch, Dietrich Bonhoeffer und seinen Widerstand gegen Hitler als Legitimation für heutige politische Gewalt heranzuziehen, ist entschieden zurückzuweisen.
Dietrich Bonhoeffer selbst bietet die beste Verteidigung gegen den Missbrauch seines Lebens und seiner Arbeit. Er fragte nicht: »Wie weit wirst du gehen?« Er fragte nicht: »Ist dies ein Bonhoeffer-Moment?« Sein Leben war bestimmt von der Frage: »Wer ist Christus für uns heute?« Bonhoeffer lehrt uns, dass Christus im Leiden des Nächsten zu finden ist, ob auf der anderen Straßenseite oder jenseits der Landesgrenze. So hat er Christen und Nichtchristen in aller Welt inspiriert, sich für eine solidarische und menschliche Gesellschaft einzusetzen.
Bonhoeffer bestand darauf, dass wir einen »Blick von unten« einnehmen, dass wir »die großen Ereignisse der Weltgeschichte aus der Perspektive der Ausgestoßenen, der Verdächtigen, der Geschundenen, der Machtlosen, der Unterdrückten und Geschmähten, kurz aus der Perspektive der Leidenden« sehen. Diese Perspektive bleibt wichtig, um den falschen und verharmlosenden Gleichsetzungen heutiger Probleme mit dem Nazi-Terror und den Schrecken des Holocausts zu widerstehen.
In den Vereinigten Staaten werden die kommenden Wochen und Monate von Polarisierung und Spaltung geprägt sein. Christliche Nationalisten werden Dietrich Bonhoeffers Worte und sein Zeugnis benutzen, um Gegner zu dämonisieren, »Amerika First« zu rufen und Gewalt zu rechtfertigen. Wir warnen: Nichts verbindet solche Parolen und Handlungen mit dem, wofür Dietrich Bonhoeffer gelebt hat und wofür er hingerichtet wurde.
Möge sich niemand täuschen lassen! Die Erstunterzeichner:
Lori Brandt Hale, Präsidentin der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft, Englischsprachige Sektion;
Florian Höhne, Präsident der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft, Deutschsprachige Sektion;
Victoria J. Barnett, Herausgeberin der englischen Ausgabe von Bonhoeffers Werken;
Wolfgang Huber, Herausgeber der deutschen Ausgabe von Bonhoeffers Werken;
Heinrich Bedford-Strohm, Gründer der Dietrich-Bonhoeffer-Forschungsstelle für öffentliche Theologie an der Universität Bamberg;
Marcia J. Bunge, Bernhardson Distinguished Chair für Lutherische Studien am Gustavus Adolphus College, Memphis, USA;
Stephen R. Haynes, Professor für Religionswissenschaften am Rhodes College,Minnesota, USA;
Arnd Henze, Publizist und Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland
Verlässliche Informationen über Dietrich Bonhoeffer finden Sie unter
dietrich-bonhoeffer.net und bonhoeffersociety.org
Nachkommen: Dietrich Bonhoeffer nicht verdrehen und missbrauchen!
Mit Entsetzen verfolgen wir, wie das Vermächtnis von Dietrich Bonhoeffer zunehmend von rechtsextremen Antidemokraten, Fremdenfeinden und religiösen Hetzern verfälscht und missbraucht wird. Als direkte Nachfahren der sieben Geschwister des Theologen und von den Nazis hingerichteten Widerstandskämpfers können wir aufgrund der Familienüberlieferung bezeugen: er war ein friedliebender, freiheitlich gesinnter Menschenfreund. Niemals hätte er sich in der Nähe rechtsextremer, gewalttätiger Bewegungen gesehen, die heute versuchen, ihn zu vereinnahmen. Im Gegenteil, er hätte genau diese Haltungen kritisiert.
Eine Schlüsselfigur für diesen Missbrauch ist Eric Metaxas, dessen 2010 zunächst in den USA erschienene Bonhoeffer-Biographie eine Millionenauflage erreichte. Darin verengte er den Blick auf Bonhoeffers Leben und machte aus ihm einen frommen Evangelikalen. Inzwischen ein radikaler Trump-Anhänger, vergleicht er regelmäßig US-Präsident Biden mit Hitler, spricht vom „totalen Krieg“ und postet Fotos mit einer Pistole auf der Bibel: “So we can now finally clearly see that Biden is our Hitler. In 1933-34. See my Bonhoeffer book for details. The parallels are staggering and increasingly obvious. Pray for this nation. PRAY.” Die rechts-evangelikale Produktionsfirma Angel Studios, die sich die Rechte für einen neuen Bonhoeffer-Film gesichert hat, wirbt jetzt auf X: „The battle against tyranny begins now. Watch Bonhoeffer: Pastor. Spy. Assassin”. Auf dem Bild dazu hat Dietrich Bonhoeffer eine Pistole in der Hand. Der die Geschichte verdrehende Biopic, der Bonhoeffer zu einem evangelikalen Heiligen stilisiert, soll direkt nach der US-Präsidentenwahl in die Kinos kommen.
Dietrich Bonhoeffer war kein Einzelkämpfer. Die Familie Bonhoeffer hielt und arbeitete in diesen Zeiten eng zusammen. Dietrichs Bruder Klaus und seine Schwäger Hans von Dohnanyi und Rüdiger Schleicher wurden wie Dietrich hingerichtet, weil sie im Widerstand aktiv waren. Die Suche nach Wahrheit, Aufrichtigkeit, Menschlichkeit und der Kampf für Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie trieb sie an. Religiöser Eifer, Nationalismus, Militarismus und blinder Gehorsam wurden abgelehnt. Wer sich auf Dietrich Bonhoeffer für die Rechtfertigung antidemokratischer, fremdenfeindlicher Bestrebungen beruft, ist falsch informiert oder böswillig.
Die zunehmende Trivialisierung und Verkitschung von Bonhoeffers Vermächtnis hat diesem Missbrauch Vorschub geleistet. Er war ein vielschichtiger Denker, der sich vor allem mit Fragen der Ethik befasste. Anders als die Mehrheit der Deutschen verschloss er nicht die Augen vor Entrechtung, Unterdrückung und Massenmord. Aus dem Zusammenhang gerissen, zu frommen Sprüchen und Widerstandspathos degradiert, sind Bonhoeffer-Zitate zu Versatzstücken verkommen, mit denen sich inzwischen vom Project 2025 – dem Programmvorschlag der Heritage Foundation für Trump – bis zum deutschen Rechtsextremisten Höcke auch viele schmücken, deren Absichten Bonhoeffers Denken und Handeln diametral widersprechen.
Theologen und Historiker, die sich eingehend mit Dietrich Bonhoeffer und seinem Umfeld befassen, haben sich seit Jahren mit deutlichen Stellungnahmen gegen solche Vereinnahmungen gewendet, zuletzt vor wenigen Tagen. Dafür sind wir dankbar. Wir Nachkommen können über die in der Familie überlieferte Haltung berichten. Wir sind damit aufgewachsen, dass viel über Widerstand gegen den Nationalsozialismus, seine Motive und Konsequenzen erzählt und debattiert wurde. Vor dem Hintergrund der weltweiten Zunahme von Intoleranz, Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, von Nationalismus und autoritären Tendenzen ist es uns wichtig, öffentlich klarzustellen: Dietrich Bonhoeffer hat Zeit seines Lebens gegen einen Geist der Enge, der Unfreiheit, und der Ausgrenzung gekämpft. Dass die heutigen Feinde der Freiheit Dietrich Bonhoeffers Leben und Werk instrumentalisieren, um ihre Positionen zu rechtfertigen, ist an Zynismus nicht zu überbieten. Überzeugen werden wir diese Demagogen nicht. Aber insbesondere den amerikanischen Wählern rufen wir zu: Lasst Euch nicht irreführen, schaut Euch die Geschichte genau an, nur gemeinsam und im Geist der Freiheit und Nächstenliebe werden wir unsere Probleme lösen. Genau dafür steht Dietrich Bonhoeffer.
Verantwortlich i.S.d.P.: Ruggero Schleicher-Tappeser und Tobias Korenke, Berlin
17. Oktober 2024: 86 von genau 100 erwachsenen Nachkommen der Bonhoeffer-Geschwister haben unterzeichnet:
Christoph Bayer, Cornelius Bayer, Justus Bayer, Dietrich Bethge, Gabriele Bode geb. Bethge, Leon Bode, Phillip Bode, Sebastian Bode, Georg Bonhoeffer, Golda Sophia Bonhoeffer, Hannah Bonhoeffer, Jan Bonhoeffer, Jona Juliane Bonhoeffer, Julia Bonhoeffer, Lina Bonhoeffer, Mathias Bonhoeffer, Moritz Bonhoeffer, Myriam Bonhoeffer, Nathan Bonhoeffer, Philipp Bonhoeffer, Sebastian Bonhoeffer, Tobias Bonhoeffer, Walter Bonhoeffer, Christian-Dietrich Bracher, Dorothee Bracher geb. Schleicher, Bruna Luise Casagrande geb. Bütler, Babette von Dohnanyi, Christoph von Dohnányi, Johannes von Dohnanyi, Justus von Dohnanyi, Klaus von Dohnanyi, Olga von Dohnanyi, Katja Doubek geb. von Dohnanyi, David Dress, Jochen Dress, Jona Dress, Klaus Rupprecht Dress, Yannik Dress, Aram Franke, Milena Getto, Caspar Grossmann, Cornelie Grossmann geb. Bonhoeffer, Cornelius Grossmann, Fabian Grossmann, Johannes Grossmann, Jonathan Grossmann, Tabea Sophie Grossmann, Sophie Hein geb. Roehrig, Svenja Hilpert geb. Grossmann, Katharina Kennemann geb. Bode, Lorenz Kennemann, Lukas Kennemann, Charlotte Korenke, Christoph Korenke, Clara Korenke, David Korenke, Jakob Korenke, Jonas Korenke, Ruben Korenke, Theresa Korenke, Tobias Korenke, Sarah McHardy, Vincent McHardy, Sabine Moffet geb. Bethge, Jessica Moffet-Rose, Constanze Müller geb. Bonhoeffer, Helen Müller, Caroline Müller-Hofstede, Cornelie Müller-Hofstede geb. Korenke, Luise Müller-Hofstede, Theresa Pennington-Schleicher, Dorothee Röhrig geb. Bayer, Andreas Schleicher, Johannes Schleicher, Katharina Schleicher, Ruggero Schleicher-Tappeser, Jakob Schmidt, Johanna Schmidt, AnnaMagdalena Schneider, Benjamin Schneider, David Soin Tappeser, Johanna Sydow, Julia Sydow, Ursula Sydow geb. Schleicher, Valentin Tappeser, David Zahn.
Bonhoeffer-Haus Berlin verurteilt politische Vereinnahmung Dietrich Bonhoeffers
Als Erinnerungs- und Begegnungsstätte, die Geist und Haltung der Familie Bonhoeffer dokumentiert und weitergibt, schließen wir uns der Petition der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft und dem offenen Brief der Bonhoeffer-Familie an.
Das Bonhoeffer-Haus wurde 1935 als Alterswohnsitz von Dietrich Bonhoeffers Eltern, Paula und Karl Bonhoeffer, erbaut. Wann immer Dietrich Bonhoeffer in Berlin war, lebte er hier. Teile seines Buches Ethik schrieb er im Mansardenzimmer. Hier fanden zahlreiche Treffen von Angehörigen des Widerstands gegen die Nationalsozialisten unter entscheidender Beteiligung von Familienmitgliedern statt. Am 5. April 1943 wurde Dietrich Bonhoeffer in diesem Gebäude verhaftet. Im April 1945 wurde er wie sein Bruder Klaus und seine Schwäger Hans von Dohnanyi und Rüdiger Schleicher von den Nationalsozialisten ermordet.
Heute treffen sich in dem Haus unzählige Menschen aus allen Ländern, um den Geist, aus dem heraus die Familie Widerstand leistete, zu verstehen und von der couragierten Haltung der Bonhoeffers für ihr eigenes Leben zu lernen. Allen, die sich ernsthaft mit den Schriften und dem Leben der Bonhoeffers beschäftigen, ist leicht ersichtlich, dass sie jede Form des politischen Extremismus, des Nationalismus und jede Ausgrenzung von Menschen zutiefst verabscheuten. Dass heute ausgerechnet gewaltbereite Nationalisten meinen, sich auf Dietrich Bonhoeffer berufen zu können, verunglimpft die Menschen, die ihr Leben gaben im Einsatz für Menschenrechte, politische Freiheit und christliche Nächstenliebe, in unerträglicher Weise.
In Gesprächen und Begegnungen an historischer Wirkungsstätte erinnern wir an die entschiedene Ablehnung des Vaters Karl gegenüber jeder Art von Personenkult, an die mütterliche Mahnung Paulas an die Kinder, sich für schwächere in der Gesellschaft einzusetzen, an die noch im hohen Alter mit Rückgrat auftretende Großmutter Julie, an Dietrichs Entscheidung, sein Leben für andere zu leben.
Als historischer Lernort, als lebendiger Verein und als kirchliches Werk verurteilen wir entschieden die ideologische Instrumentalisierung von Dietrich Bonhoeffers Erbe. Wir rufen dazu auf, die Petition der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft zu unterstützen:
In seiner berühmten Analyse des Widerstands „Nach zehn Jahren“, die Dietrich Bonhoeffer zur Jahreswende 1942/43 in diesem Gebäude schrieb, heißt es: „Die große Maskerade des Bösen hat alle ethischen Begriffe durcheinandergewirbelt. Dass das Böse in der Gestalt des Lichts, der Wohltat, des geschichtlich Notwendigen, des sozial Gerechten erscheint, ist für den aus unserer tradierten ethischen Begriffswelt Kommenden verwirrend; für den Christen, der aus der Bibel lebt, ist es gerade die Bestätigung der abgründigen Bosheit des Bösen.“
Wir dürfen uns nie wieder von dem Bösen verwirren lassen.
Vorstand und Mitarbeitende der Erinnerungs- und Begegnungsstätte Bonhoeffer-Haus e.V. in Berlin:
Gottfried Brezger, Martina Dethloff, Arno Helwig, Hans-Karl Kahlbaum, Tobias Korenke, Kurt Kreibohm, Christina Lange, Ulrich Luig, Ulrike Trautwein, Silke Tournay, Ingrid Portmann, Konrad Raiser, Christian Zeiske
https://www.bonhoeffer-haus-berlin.de/
Stellungnahme der Stiftung 20. Juli gegen den politischen Missbrauch von Dietrich Bonhoeffer
„Die Stiftung 20. Juli 1944 distanziert sich entschieden von der Instrumentalisierung Dietrich Bonhoeffers durch nationalistische Evangelikale in den USA. Bereits seit einigen Jahren manipuliert eine Gruppe um den Bonhoeffer-Biographen, Fox NewsKommentator und Trump-Vertrauten Eric Metaxas gezielt das Werk und Leben des deutschen Widerstandskämpfers. So wie Bonhoeffer gegen das Nazi-Regime gekämpft habe, müsse heute Widerstand geleistet werden gegen einen woken Zeitgeist, ein linkes Establishment und die demokratische Regierung um Joe Biden, die von Metaxas mit dem NS-Regime gleichgesetzt wird. Große Teile der nationalistischen Evangelikalen nahmen diese Argumentation auf und benutzen den für Frieden einstehende Bonhoeffer zur Rechtfertigung ihrer eigenen gewaltbereiten politischen Agenda.
Ein neuer Höhepunkt in dieser gezielten Umdeutung ist mit dem in diesen Tagen in den USA anlaufenden Film Bonhoeffer: Pastor. Spy. Assassin erreicht. Schon das Plakat, das Bonhoeffer mit einer Pistole in der Hand zeigt, rückt den Theologen in ein falsches Licht. Auch der Film selbst verstört. Bonhoeffer wird hier nicht nur zum jesusähnlichen Märtyrer stilisiert, die Autoren legen ihm auch Schlagwörter der rechtsradikalen Freikorpsbewegung in den Mund („My country was invaded from within“), die mittlerweile auch in den Reden Donald Trumps und seines Umfelds Eingang finden.
Dem Vorstand und Kuratorium der Stiftung 20. Juli 1944 ist wichtig, klarzustellen: Der Widerstand Dietrich Bonhoeffers war wie der seines Bruders Klaus und seiner Schwäger Hans von Dohnanyi und Rüdiger Schleicher gegen eine totalitäre Ideologie gerichtet, die auf Hass, Intoleranz, Ausgrenzung und Vernichtung abzielte. Bonhoeffers Leben und Werk war geprägt von einer christlichen Ethik, die die das Gebot der Nächstenliebe, die Würde des Menschen, die Verantwortung vor Gott und jede Ablehnung von Gewalt und Unterdrückung betont. Seine Beteiligung am Widerstand des 20. Juli war von der Überzeugung getragen, dass es notwendig ist, dem „Rad in die Speichen zu fallen“, wenn der Staat Unrecht und Verbrechen begeht.
Dietrich Bonhoeffer würde sich niemals mit einer Bewegung einverstanden erklären, die auf Lügen, Spaltung und Gewalt setzt. Es ist zutiefst respektlos, sein Leben und Werk für politische Zwecke zu missbrauchen, die seinen Überzeugungen diametral entgegengesetzt sind. Die Nachkommen der sieben Geschwister Dietrich Bonhoeffers haben sich in einem offenen Brief der Instrumentalisierung entgegengestellt. Zudem haben zahlreiche Theologen und Historiker einen Aufruf gegen die historische Verfälschung Bonhoeffers gestartet. Wir schließen uns beiden Petitionen an.“
Stiftung 20. Juli 1944, 25.11.2024