Nachkommen: Dietrich Bonhoeffer nicht verdrehen und missbrauchen!
Mit Entsetzen verfolgen wir, wie das Vermächtnis von Dietrich Bonhoeffer zunehmend von rechtsextremen Antidemokraten, Fremdenfeinden und religiösen Hetzern verfälscht und missbraucht wird. Als direkte Nachfahren der sieben Geschwister des Theologen und von den Nazis hingerichteten Widerstandskämpfers können wir aufgrund der Familienüberlieferung bezeugen: er war ein friedliebender, freiheitlich gesinnter Menschenfreund. Niemals hätte er sich in der Nähe rechtsextremer, gewalttätiger Bewegungen gesehen, die heute versuchen, ihn zu vereinnahmen. Im Gegenteil, er hätte genau diese Haltungen kritisiert.
Eine Schlüsselfigur für diesen Missbrauch ist Eric Metaxas, dessen 2010 zunächst in den USA erschienene Bonhoeffer-Biographie eine Millionenauflage erreichte. Darin verengte er den Blick auf Bonhoeffers Leben und machte aus ihm einen frommen Evangelikalen. Inzwischen ein radikaler Trump-Anhänger, vergleicht er regelmäßig US-Präsident Biden mit Hitler, spricht vom „totalen Krieg“ und postet Fotos mit einer Pistole auf der Bibel: “So we can now finally clearly see that Biden is our Hitler. In 1933-34. See my Bonhoeffer book for details. The parallels are staggering and increasingly obvious. Pray for this nation. PRAY.” Die rechts-evangelikale Produktionsfirma Angel Studios, die sich die Rechte für einen neuen Bonhoeffer-Film gesichert hat, wirbt jetzt auf X: „The battle against tyranny begins now. Watch Bonhoeffer: Pastor. Spy. Assassin”. Auf dem Bild dazu hat Dietrich Bonhoeffer eine Pistole in der Hand. Der die Geschichte verdrehende Biopic, der Bonhoeffer zu einem evangelikalen Heiligen stilisiert, soll direkt nach der US-Präsidentenwahl in die Kinos kommen.
Dietrich Bonhoeffer war kein Einzelkämpfer. Die Familie Bonhoeffer hielt und arbeitete in diesen Zeiten eng zusammen. Dietrichs Bruder Klaus und seine Schwäger Hans von Dohnanyi und Rüdiger Schleicher wurden wie Dietrich hingerichtet, weil sie im Widerstand aktiv waren. Die Suche nach Wahrheit, Aufrichtigkeit, Menschlichkeit und der Kampf für Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie trieb sie an. Religiöser Eifer, Nationalismus, Militarismus und blinder Gehorsam wurden abgelehnt. Wer sich auf Dietrich Bonhoeffer für die Rechtfertigung antidemokratischer, fremdenfeindlicher Bestrebungen beruft, ist falsch informiert oder böswillig.
Die zunehmende Trivialisierung und Verkitschung von Bonhoeffers Vermächtnis hat diesem Missbrauch Vorschub geleistet. Er war ein vielschichtiger Denker, der sich vor allem mit Fragen der Ethik befasste. Anders als die Mehrheit der Deutschen verschloss er nicht die Augen vor Entrechtung, Unterdrückung und Massenmord. Aus dem Zusammenhang gerissen, zu frommen Sprüchen und Widerstandspathos degradiert, sind Bonhoeffer-Zitate zu Versatzstücken verkommen, mit denen sich inzwischen vom Project 2025 – dem Programmvorschlag der Heritage Foundation für Trump – bis zum deutschen Rechtsextremisten Höcke auch viele schmücken, deren Absichten Bonhoeffers Denken und Handeln diametral widersprechen.
Theologen und Historiker, die sich eingehend mit Dietrich Bonhoeffer und seinem Umfeld befassen, haben sich seit Jahren mit deutlichen Stellungnahmen gegen solche Vereinnahmungen gewendet, zuletzt vor wenigen Tagen. Dafür sind wir dankbar. Wir Nachkommen können über die in der Familie überlieferte Haltung berichten. Wir sind damit aufgewachsen, dass viel über Widerstand gegen den Nationalsozialismus, seine Motive und Konsequenzen erzählt und debattiert wurde. Vor dem Hintergrund der weltweiten Zunahme von Intoleranz, Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, von Nationalismus und autoritären Tendenzen ist es uns wichtig, öffentlich klarzustellen: Dietrich Bonhoeffer hat Zeit seines Lebens gegen einen Geist der Enge, der Unfreiheit, und der Ausgrenzung gekämpft. Dass die heutigen Feinde der Freiheit Dietrich Bonhoeffers Leben und Werk instrumentalisieren, um ihre Positionen zu rechtfertigen, ist an Zynismus nicht zu überbieten. Überzeugen werden wir diese Demagogen nicht. Aber insbesondere den amerikanischen Wählern rufen wir zu: Lasst Euch nicht irreführen, schaut Euch die Geschichte genau an, nur gemeinsam und im Geist der Freiheit und Nächstenliebe werden wir unsere Probleme lösen. Genau dafür steht Dietrich Bonhoeffer.
Verantwortlich i.S.d.P.: Ruggero Schleicher-Tappeser und Tobias Korenke, Berlin
17. Oktober 2024: 86 von genau 100 erwachsenen Nachkommen der Bonhoeffer-Geschwister haben unterzeichnet:
Christoph Bayer, Cornelius Bayer, Justus Bayer, Dietrich Bethge, Gabriele Bode geb. Bethge, Leon Bode, Phillip Bode, Sebastian Bode, Georg Bonhoeffer, Golda Sophia Bonhoeffer, Hannah Bonhoeffer, Jan Bonhoeffer, Jona Juliane Bonhoeffer, Julia Bonhoeffer, Lina Bonhoeffer, Mathias Bonhoeffer, Moritz Bonhoeffer, Myriam Bonhoeffer, Nathan Bonhoeffer, Philipp Bonhoeffer, Sebastian Bonhoeffer, Tobias Bonhoeffer, Walter Bonhoeffer, Christian-Dietrich Bracher, Dorothee Bracher geb. Schleicher, Bruna Luise Casagrande geb. Bütler, Babette von Dohnanyi, Christoph von Dohnányi, Johannes von Dohnanyi, Justus von Dohnanyi, Klaus von Dohnanyi, Olga von Dohnanyi, Katja Doubek geb. von Dohnanyi, David Dress, Jochen Dress, Jona Dress, Klaus Rupprecht Dress, Yannik Dress, Aram Franke, Milena Getto, Caspar Grossmann, Cornelie Grossmann geb. Bonhoeffer, Cornelius Grossmann, Fabian Grossmann, Johannes Grossmann, Jonathan Grossmann, Tabea Sophie Grossmann, Sophie Hein geb. Roehrig, Svenja Hilpert geb. Grossmann, Katharina Kennemann geb. Bode, Lorenz Kennemann, Lukas Kennemann, Charlotte Korenke, Christoph Korenke, Clara Korenke, David Korenke, Jakob Korenke, Jonas Korenke, Ruben Korenke, Theresa Korenke, Tobias Korenke, Sarah McHardy, Vincent McHardy, Sabine Moffet geb. Bethge, Jessica Moffet-Rose, Constanze Müller geb. Bonhoeffer, Helen Müller, Caroline Müller-Hofstede, Cornelie Müller-Hofstede geb. Korenke, Luise Müller-Hofstede, Theresa Pennington-Schleicher, Dorothee Röhrig geb. Bayer, Andreas Schleicher, Johannes Schleicher, Katharina Schleicher, Ruggero Schleicher-Tappeser, Jakob Schmidt, Johanna Schmidt, AnnaMagdalena Schneider, Benjamin Schneider, David Soin Tappeser, Johanna Sydow, Julia Sydow, Ursula Sydow geb. Schleicher, Valentin Tappeser, David Zahn.
Bonhoeffer-Haus Berlin verurteilt politische Vereinnahmung Dietrich Bonhoeffers
Als Erinnerungs- und Begegnungsstätte, die Geist und Haltung der Familie Bonhoeffer dokumentiert und weitergibt, schließen wir uns der Petition der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft und dem offenen Brief der Bonhoeffer-Familie an.
Das Bonhoeffer-Haus wurde 1935 als Alterswohnsitz von Dietrich Bonhoeffers Eltern, Paula und Karl Bonhoeffer, erbaut. Wann immer Dietrich Bonhoeffer in Berlin war, lebte er hier. Teile seines Buches Ethik schrieb er im Mansardenzimmer. Hier fanden zahlreiche Treffen von Angehörigen des Widerstands gegen die Nationalsozialisten unter entscheidender Beteiligung von Familienmitgliedern statt. Am 5. April 1943 wurde Dietrich Bonhoeffer in diesem Gebäude verhaftet. Im April 1945 wurde er wie sein Bruder Klaus und seine Schwäger Hans von Dohnanyi und Rüdiger Schleicher von den Nationalsozialisten ermordet.
Heute treffen sich in dem Haus unzählige Menschen aus allen Ländern, um den Geist, aus dem heraus die Familie Widerstand leistete, zu verstehen und von der couragierten Haltung der Bonhoeffers für ihr eigenes Leben zu lernen. Allen, die sich ernsthaft mit den Schriften und dem Leben der Bonhoeffers beschäftigen, ist leicht ersichtlich, dass sie jede Form des politischen Extremismus, des Nationalismus und jede Ausgrenzung von Menschen zutiefst verabscheuten. Dass heute ausgerechnet gewaltbereite Nationalisten meinen, sich auf Dietrich Bonhoeffer berufen zu können, verunglimpft die Menschen, die ihr Leben gaben im Einsatz für Menschenrechte, politische Freiheit und christliche Nächstenliebe, in unerträglicher Weise.
In Gesprächen und Begegnungen an historischer Wirkungsstätte erinnern wir an die entschiedene Ablehnung des Vaters Karl gegenüber jeder Art von Personenkult, an die mütterliche Mahnung Paulas an die Kinder, sich für schwächere in der Gesellschaft einzusetzen, an die noch im hohen Alter mit Rückgrat auftretende Großmutter Julie, an Dietrichs Entscheidung, sein Leben für andere zu leben.
Als historischer Lernort, als lebendiger Verein und als kirchliches Werk verurteilen wir entschieden die ideologische Instrumentalisierung von Dietrich Bonhoeffers Erbe. Wir rufen dazu auf, die Petition der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft zu unterstützen:
In seiner berühmten Analyse des Widerstands „Nach zehn Jahren“, die Dietrich Bonhoeffer zur Jahreswende 1942/43 in diesem Gebäude schrieb, heißt es: „Die große Maskerade des Bösen hat alle ethischen Begriffe durcheinandergewirbelt. Dass das Böse in der Gestalt des Lichts, der Wohltat, des geschichtlich Notwendigen, des sozial Gerechten erscheint, ist für den aus unserer tradierten ethischen Begriffswelt Kommenden verwirrend; für den Christen, der aus der Bibel lebt, ist es gerade die Bestätigung der abgründigen Bosheit des Bösen.“
Wir dürfen uns nie wieder von dem Bösen verwirren lassen.
Vorstand und Mitarbeitende der Erinnerungs- und Begegnungsstätte Bonhoeffer-Haus e.V. in Berlin:
Gottfried Brezger, Martina Dethloff, Arno Helwig, Hans-Karl Kahlbaum, Tobias Korenke, Kurt Kreibohm, Christina Lange, Ulrich Luig, Ulrike Trautwein, Silke Tournay, Ingrid Portmann, Konrad Raiser, Christian Zeiske
https://www.bonhoeffer-haus-berlin.de/
Stellungnahme der Stiftung 20. Juli gegen den politischen Missbrauch von Dietrich Bonhoeffer
„Die Stiftung 20. Juli 1944 distanziert sich entschieden von der Instrumentalisierung Dietrich Bonhoeffers durch nationalistische Evangelikale in den USA. Bereits seit einigen Jahren manipuliert eine Gruppe um den Bonhoeffer-Biographen, Fox NewsKommentator und Trump-Vertrauten Eric Metaxas gezielt das Werk und Leben des deutschen Widerstandskämpfers. So wie Bonhoeffer gegen das Nazi-Regime gekämpft habe, müsse heute Widerstand geleistet werden gegen einen woken Zeitgeist, ein linkes Establishment und die demokratische Regierung um Joe Biden, die von Metaxas mit dem NS-Regime gleichgesetzt wird. Große Teile der nationalistischen Evangelikalen nahmen diese Argumentation auf und benutzen den für Frieden einstehende Bonhoeffer zur Rechtfertigung ihrer eigenen gewaltbereiten politischen Agenda.
Ein neuer Höhepunkt in dieser gezielten Umdeutung ist mit dem in diesen Tagen in den USA anlaufenden Film Bonhoeffer: Pastor. Spy. Assassin erreicht. Schon das Plakat, das Bonhoeffer mit einer Pistole in der Hand zeigt, rückt den Theologen in ein falsches Licht. Auch der Film selbst verstört. Bonhoeffer wird hier nicht nur zum jesusähnlichen Märtyrer stilisiert, die Autoren legen ihm auch Schlagwörter der rechtsradikalen Freikorpsbewegung in den Mund („My country was invaded from within“), die mittlerweile auch in den Reden Donald Trumps und seines Umfelds Eingang finden.
Dem Vorstand und Kuratorium der Stiftung 20. Juli 1944 ist wichtig, klarzustellen: Der Widerstand Dietrich Bonhoeffers war wie der seines Bruders Klaus und seiner Schwäger Hans von Dohnanyi und Rüdiger Schleicher gegen eine totalitäre Ideologie gerichtet, die auf Hass, Intoleranz, Ausgrenzung und Vernichtung abzielte. Bonhoeffers Leben und Werk war geprägt von einer christlichen Ethik, die die das Gebot der Nächstenliebe, die Würde des Menschen, die Verantwortung vor Gott und jede Ablehnung von Gewalt und Unterdrückung betont. Seine Beteiligung am Widerstand des 20. Juli war von der Überzeugung getragen, dass es notwendig ist, dem „Rad in die Speichen zu fallen“, wenn der Staat Unrecht und Verbrechen begeht.
Dietrich Bonhoeffer würde sich niemals mit einer Bewegung einverstanden erklären, die auf Lügen, Spaltung und Gewalt setzt. Es ist zutiefst respektlos, sein Leben und Werk für politische Zwecke zu missbrauchen, die seinen Überzeugungen diametral entgegengesetzt sind. Die Nachkommen der sieben Geschwister Dietrich Bonhoeffers haben sich in einem offenen Brief der Instrumentalisierung entgegengestellt. Zudem haben zahlreiche Theologen und Historiker einen Aufruf gegen die historische Verfälschung Bonhoeffers gestartet. Wir schließen uns beiden Petitionen an.“
Stiftung 20. Juli 1944, 25.11.2024