Zum 77. Todestag Dietrich Bonhoeffers

Aktuelle Meldung vom: 05.04.2022

Zum 77. Todestag Dietrich Bonhoeffers am 9. April:

"Die Wiederherstellung einer echten weltlichen Ordnung unter Gottes Gebot"[1]

- Friedensziele für die Zeit nach dem Ende des NS-Staats.

An Geburtstage zu denken, ist wichtig, besonders von Menschen, die uns viel bedeuten. Noch wichtiger aber scheint mir die Erinnerung an den Todestag zu sein, insbesondere bei Menschen, die ihr Leben im Widerstand verloren haben. Der Geburtstag gehört zu dieser einen Person, der Todestag aber verbindet sie mit all denen, die mit ihr den schweren Weg gegangen sind. Dies gilt besonders auch für die Erinnerung an Dietrich Bonhoeffer und die andern, die verfolgt und die unmittelbar vor dem Ende der Tyrannei ermordet worden sind.

In diesen Tagen, in denen der Krieg in der Ukraine mit dem Leiden der Menschen im Land  und im Exil und mit der Bedrohung weiterer Länder in Europa unsere Gedanken besetzt hält, kann es hilfreich sein, an die historischen und politischen Grundlagen der europäischen Friedensordnung, die Putin ein Dorn im Auge ist, zu erinnern. Zu ihren Wurzeln gehören die Entwürfe der ‚Kreisauer‘ und der ‚Freiburger‘. Sie riskierten ihr Leben im Widerstand gegen den nationalsozialistischen Unrechts- und Willkürstaat, als sie mitten im Krieg (1942/43) an den Zielen einer Friedensordnung nach dem Krieg arbeiteten. Leitender Gedanke war die Überwindung der Gefahren des Nationalismus durch eine Verteilung der im Nationalstaat bedrohlich konzentrierten Machtfülle nach unten und nach oben: durch eine infranationale Struktur des Föderalismus mit dem Prinzip der Subsidiarität und eine supranationale Struktur eines souveränen europäischen Staatenbunds. Entscheidend war dabei die Herstellung einer dauerhaften Rechtsordnung nach der Entwaffnung der Tyrannen. Der gegen alle nationalistischen Widerstände zu errichtende Rechtsstaat wurde als die Voraussetzung und Grundlage für die Verantwortung des Einzelnen im sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bereich angesehen. Dazu gehörten in der vom Nationalsozialismus befreiten neuen Gesellschaft als oberste Bildungsziele Rechtsstaatlichkeit zum Schutz der persönlichen Entfaltung und der Aufbau demokratischer Strukturen.

Auch Dietrich Bonhoeffer hat sich an der Diskussion um die Friedensziele beteiligt. Von einer  Klärung der Friedensbedingungen der Alliierten für den Fall eines möglichen Umsturzes in Deutschland hing für alle, die konspirativ darauf hinarbeiteten, das Gelingen ihrer Planungen ab. Dietrich Bonhoeffer war aufgrund seiner ökumenischen Beziehungen, insbesondere mit Bischof George Bell, dafür prädestiniert, diese Klärung voranzutreiben. In England hatte sich in kirchennahen Kreisen eine Diskussion über die Vorstellungen für ein ‚neues Europa‘ nach dem Krieg entwickelt. Im Juli 1941 hatte William Paton als Sprecher eines Gesprächskreises mit hochrangigen kirchlich, gesellschaftlich und politisch Verantwortlichen einen Friedensentwurf publiziert mit dem Thema „The Church and the New Order“.[2]

Auf einzelne Punkte dieses Entwurfs antwortete Dietrich Bonhoeffer während seiner zweiten Schweizer Reise (28. August – 26. September 1941) zusammen mit Willem A. Visser’t Hooft, dem Generalsekretär des im Aufbau befindlichen Ökumenischen Rats der Kirchen in Genf. Als eine „hochpolitische Buchbesprechung“ bezeichnet Eberhard Bethge[3]  dieses Memorandum aus Genf. Bei den Ausführungen zu Patons 4. Kapitel („The ideal and the next steps“) konkretisiert Dietrich Bonhoeffer in seinem Entwurf die Friedensziele:

„Es kommt darauf an, ob in Deutschland eine staatliche Ordnung verwirklicht wird, die sich den Geboten Gottes verantwortlich weiß. Das wird sichtbar werden an der restlosen Beseitigung des NS-Systems einschließlich und speziell der Gestapo, an der Wiederherstellung der Hoheit des gleichen Rechtes für alle, an einer Presse, die der Wahrheit dient, an der Wiederherstellung der Freiheit der Kirche, das Wort Gottes in Gebot und Evangelium aller Welt zu predigen.“[4]

Bonhoeffer widerspricht einer „Aufteilung des Wirklichkeitsganzen in einen sakralen und einen profanen“ Bezirk (Ethik, DBW 6, S.42) und fordert damit das historisch in der Aufklärung begründete säkulare Weltverständnis heraus. Auch die ‚Kreisauer‘ und die ‚Freiburger‘ formulieren einen Gottesbezug in ihren Vorstellungen für eine Friedensordnung. Bonhoeffer sucht allerdings die Grundlage der Rechtsordnung explizit nicht im Ideal des Persönlichkeitsrechts des Individuums oder der Menschenrechte, sondern in Gottes Geboten zum Schutz des Andern, der in Gottes Andersheit (1. Gebot) und im göttlichen Gewaltmonopol verbürgt ist und in Christus als dem ‚Menschen für Andere‘ erfahren werden kann. „Wer sich zu der Wirklichkeit Jesu Christi als der Offenbarung Gottes bekennt, der bekennt sich im selben Atemzug zu der Wirklichkeit Gottes und zu der Wirklichkeit der Welt; denn er findet in Christus Gott und die Welt versöhnt.“[5]

Was bedeutet heute dieses christliche Bekenntnis im interreligiösen Dialog angesichts der religiös-kulturellen Pluralität für die Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit in Europa? Auf welchem normativen Fundament kann das „gemeinsame Haus Europa“ in stürmischen Zeiten bestehen und auch den imperialen kriegerischen Angriffen der „Russki Mir“[6] („Russische Welt“) standhalten? Sicher nicht nur durch die Demonstration militärischer Stärke nach außen, sondern grundlegend durch die innere Stärkung des Zivil-, Staats- und Völkerrechts. Wenn die Würde ‚des Anderen‘ geachtet, geschützt und deren Verletzungen durch Aggression, Hass, Missachtung und Ausschluss auch sanktioniert werden soll, ist Offenheit, Lernwilligkeit und Dialogbereitschaft der Weg der Empathie und Solidarität in der unversöhnten Welt,   zusammengefasst im Liebesgebot. Die Verwirklichung dieses Gebots Gottes, das seine versöhnende Kraft in Christi Wort und Tat erweist, erfuhr Dietrich Bonhoeffer in der Ökumene, in der „universalen christlichen Bruderschaft, die sich über alle nationalen Hassgefühle erhebt“[7].

Gottfried Brezger, Pfarrer i.R., Vorsitzender des Vorstands

Erinnerungs- und Begegnungsstätte Bonhoeffer-Haus e.V., Berlin

pdf-Version

 

[1] Dietrich Bonhoeffer: Gedanken zu William Patons Schrift „The Church and the New Order in Europe“, in: Das Zeugnis eines Boten, S. 10, Neuauflage in der Sonderausgabe 2020 des Bonhoeffer-Rundbriefes, ibg, Dezember 2020, mit einem Vorwort von Christian Löhr und einem Grußwort von Joan Sauca, eingeleitet von Gernot Gerlach und Hartmut Rosenau, S. 29 f.

Dietrich Bonhoeffer Werke, Band 16: Konspiration und Haft. 1940-1945. Herausgegeben von Jørgen Glenthøj, Ulrich Kabitz und Wolf Krötke. (DBW 16), München 1996, 540.

[2] William Paton: The Church and the New Order, Gateshead on Tyne, July 1941

[3] Eberhard Bethge: Dietrich Bonhoeffer. Eine Biographie, München 1970, S. 829-833.

[4] S. Fußnote 1.

[5] Dietrich Bonhoeffer, Ethik, DBW 6.47f.

[6] Aufhorchen lässt heute die Formulierung in Bonhoeffers Entwurf der Antwort auf Paton: „Nicht der Pangermanismus, sondern der Panslawismus ist die kommende Gefahr“. Im gemeinsam mit Visser’t Hooft verfassten Memorandum steht dazu: „Selbst wenn wir das britisch-russische Bündnis als zu rechtfertigende und unvermeidliche politische Entscheidung betrachten können, dürfen wir die Gefahr nicht bagatellisieren, die Russland für alles, was uns wert ist, darstellt.“ (DBW 16, S. 549 / S. 807, Übersetzung)

[7] Dietrich Bonhoeffers letzte Worte, eine Botschaft an Bischof George Bell, DBW 16, S.468.

Dieser Beitrag bezieht sich auf einen Aufsatz, der im Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte erschien. Wir danken den Herausgebern, daß wir eine pdf-Version des Aufsatzes von Gottfried Brezger hier zum Download anbieten dürfen.

"Die Botschaft eines Zeugen. Ein Dokument des Widerstandes und der Ökumene: Dietrich Bonhoeffer und W. A. Visser't Hooft antworten auf William Patons Friedensentwurf"

in: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 73/2021
Hrsg. im Auftrag des Vereins für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte e.V., S. 230-262

 

 

 

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