Adolf Deißmann

In Professor Adolf Deißmanns neutestamentlichem Seminar über Paulus und Johannes argumentierte Dietrich Bonhoeffer als Student in Berlin im Sommersemester 1926, die innere Gegensätzlichkeit beider Männer sei deutlich zu erkennen, und das In Christus, das bei beiden ähnlich klänge, sage kein irgendwie mystisches Erlebnis aus. Eine Stellungnahme des Professors liegt nicht vor. Deißmann hatte in seinem Buch Paulus 1911 den Evangelisten Johannes als den größten Interpreten des Paulus bezeichnet und dem Christus in mir – ich in Christus bei Paulus nach dem Damaskusereignis zuerkannt, es sei mystisch gedacht im Sinne von Gewissheit, dass Christus lebt. Bonhoeffer wehrte in seiner Dissertation Sanctorum Communio, die er im Juli 1927 bei der Berliner Theologischen Fakultät einreichte, Mystik-Gedanken als gemeinschaftsfremd durchgehend ab. Doch Akt und Sein, Bonhoeffers 1930 fertiggestellte Habilitationsschrift, läuft auf das In Christus-Sein hinaus. 

Deißmann schrieb am 10.1.1930 an den Deutschen Akademischen Austauschdienst, für ein Studienjahr an einer amerikanischen Universität könne er Bonhoeffer als Stipendiat bestens empfehlen, und erwähnte Bonhoeffers gute Umgangsformen. Als feststand, dass Bonhoeffer an das Union Theological Seminary (UThS) in New York gehen würde, richtete Deißmann – er hatte 1929 das UThS aufgesucht – an den Präsidenten Professor Coffin am 3.9.1930 ein Schreiben, in dem er Bonhoeffer als seinen dear junior colleague vorstellte. Am 23.9. dankte Bonhoeffer dem Herrn Geheimrat für diese gütige Einführung ergebenst.

Aus Berlin berichtete Franz Hildebrandt seinem Freund Bonhoeffer am 5.11.1930,D.D.D. Deissmann, Rektor Magnificus, habe anderthalb Stunden lang unter fortlaufendem Beifall der Studenten (am Schluss waren die Emporen halb leer) beschrieben, dass das Neue Testament in Freiluft und Freilicht, nicht unter den Osramlampen unserer akademischen Studierstuben entstanden sei, im Johannesevangelium aber mystische Hochtemperatur herrsche. – Über die theologische Konferenz der Mittelstelle für ökumenische Jugendarbeit am 29.-20. April 1932 in Berlin verfasste Bonhoeffer einen Bericht, für den er von den Beteiligten schriftliche Zusammenfassungen ihrer Diskussionsbemerkungen erbeten hatte. Deißmann: Die christliche Kirche verstand sich in ihrer Urzeit, die wir hauptsächlich durch Paulus kennen, als Leib (Korpus) Christi, was nur aus der apostolischen Christusmystik begreifbar ist; innerhalb der ökumenischen Bewegung müssen wir in uns und anderen das Bewusstsein wecken, 'Glieder' am Korpus Christi zu sein.

Dann kamen die Ereignisse von 1933. Ausgerechnet um den 30. Januar, an dem Hindenburg Hitler zum Reichskanzler berief, befanden sich führende Ökumeniker in Berlin; Deißmann leitete ihren festlichen Empfang. Bei der großen Protestversammlung  Kirche im Kampf gegen Maßnahmen des neuen Regimes am 22.6.1933 in der Berliner Universität sagte Deißmann nach Bonhoeffers Eindruck ganz belangloses Zeug

Deißmanns Gedanken zum Neuen Testament aber waren für Bonhoeffer in der Folgezeit durchaus nicht belanglos. Als er selber ab 1935 im Predigerseminar Finkenwalde Neues Testament lehrte, kam das <q<in>>Das neue Leben bei Paulus – Sein in Christus / Christus in mir – mit Hinweis auf Mystik. Aus den neutestamentlichen Vorlesungen wurde im Herbst 1937 das Buch Nachfolge, in dessen letztem Kapitel von Einwohnung, dem wahrhaftigen Leben Jesu Christi in uns, die Rede ist mit dem Zitat aus dem Galaterbrief des Paulus (2,20) Nun aber lebe nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Und 1941 fügte Bonhoeffer in sein 1940 begonnenes Ethik-Manuskript Erbe und Verfall corpus-Ausdrücke ein: Die durch Kaiser und Papst zusammengefasstechristlich-abendländische Gemeinschaftsordnung, corpus christianum, zerbricht mit der Reformation in ihre Bestandteile corpus Christi und Welt. Die wahre katholische Kirche war, ist und bleibtder Leib Christi – corpus Christi.</q<in>>

Quelle:

Bethge, Eberhard: Dietrich Bonhoeffer. Theologe – Christ – Zeitgenosse. Eine Biographie. Gütersloh 20059, 101, 116, 180, 194, 233, 289, 309. Adolf Deissmann, Paulus, Tübingen 1911, 4, 86f, 117. DBW 1; DBW 2, 149-161; DBW 4, 230f, 303; DBW 6, 101-103 u.a.

DEISSMANN, ADOLF (1866-1937): wurde am 7.11.1866 in Langenscheid an der Lahn (Nassau) geboren; ab 1885 Studium der evangelischen  Theologie in Tübingen und Berlin; in Marburg 1892 Lic.theol.; 1895-1897 Predigerseminar in Herborn.

Professor für Neues Testament ab 1897 in Heidelberg; 1906 und 1909 Reisen in die Lebenswelt des Saulus Paulus; 1908-1934 in Berlin Professor und 1930 Rektor. Führend in der ökumenischen Bewegung: Gründungsmitglied des am 1.8.1914 in Konstanz entstandenen Weltbunds für Freundschaftsarbeit der Kirchen, langjähriger Vorsitzender der deutschen Sektion; seit der Weltkirchenkonferenz in Stockholm 1925 (Universal Christian Conference on Life and Work 19.-30.8.1925), deren amtlichen deutschen Bericht er 1926 herausgab, Mitglied des Exekutivausschusses des Ökumenischen Rates für Praktisches Christentum und bis 1936 Vorsitzender der Kommission für ökumenische Zusammenarbeit der Professoren der Theologie; grundlegend beteiligt an der Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung (Faith and Order) in Lausanne ab 3.8.1927, stellvertretender Vorsitzender ihres Fortsetzungsausschusses.

Mitglied der Generalsynode der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union; Fürsprecher einer ökumenischen Verankerung des Bischofsamtes in den unierten und lutherischen Kirchen. 1930 mit George Bell, Bischof von Chichester, Herausgeber der Verhandlungen des Britisch-Deutschen Theologengesprächs über das Mysterium Christi. Deissmann starb am 5.4.1937 in Wünsdorf (Kreis Teltow) bei Berlin.

Vita aus:

Bethge, Eberhard: Dietrich Bonhoeffer. Theologe – Christ – Zeitgenosse. Eine Biographie. Gütersloh 20059, 208, 233. Adolf Deissmann, Paulus, Tübingen 1911, v, 64. RGG 3. Auflage 1958. Weltkirchenlexikon 1960. Jørgen Glenthøj Recherchen 1990. u.a.

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