Unter den 17 Teilnehmern an der ökumenischen Arbeitstagung in Dassel am Solling 6.-10.3.1933 waren der 27jährige Privatdozent Dietrich Bonhoeffer und der dreißig Jahre ältere hannoversche Landesbischof August Marahrens. Nachdem Marahrens über Maßnahmen zur Vertiefung und Verbreitung der ökumenischen Front innerhalb der deutschen Kirche
referiert hatte, gab Bonhoeffer einen Diskussionsbeitrag zum theologischen Gegensatz in der ökumenischen Bewegung
, in dem der Name Marahrens nicht fällt. Zwischen den beiden lutherischen Theologen kam es offenbar zu keiner persönlichen Annäherung. – In dem von Bonhoeffer geleiteten Predigerseminar Finkenwalde erregte das kirchenpolitische Verhalten von Marahrens Zorn. Am 14.12.1935 schrieb Albrecht Schönherr, Schriftleiter
im Finkenwalder Bruderhaus, im Rundbrief an die ehemaligen Kursteilnehmer von der Anfechtung
der jungen Theologen der Bekennenden Kirche durch die Haltung der Lutheraner
, und im Brief an seine Verlobte Hilde Enterlein: Mahrahrens (ich kann den Kerl immer noch nicht richtig schreiben, will’s auch nicht!) hat uns in aller Form verraten.
Als Vorsitzender der Vorläufigen Kirchenleitung der Deutschen Evangelischen Kirche hatte Marahrens am 12.12.1935 unter Zustimmung der lutherischen Landeskirchen Bayerns, Hannovers und Württembergs erklärt, die VKL sei entschlossen zur Zusammenarbeit mit dem Reichskirchenausschuss, der vom Reichs- und Preußischen Minister für die kirchlichen Angelegenheiten Hanns Kerrl im Herbst 1935 eingesetzten Leitung der DEK. Bonhoeffer wandte in einem Brief am 25.1.1936 gegen den Vorwurf des Verrats ein, dass Marahrens die Bekennende Kirche garnicht verraten konnte, weil er ihr nie angehört hat
. – Beim Treffen in Sigtuna am 31.5.1942 berichtete Bonhoeffer dem Bischof von Chichester George Bell, Marahrens habe (1941) in seinen Gemeinden denen, die ein auf die Kleidung genähter gelber Stern als Juden kennzeichnete, die Teilnahme am Gottesdienst verboten – hopeless
, ein hoffnungsloser Fall.
Quelle:
Bethge, Eberhard: Dietrich Bonhoeffer. Theologe – Christ – Zeitgenosse. Eine Biographie, Gütersloh 92005, 290f. Die Finkenwalder Rundbriefe (DBW-Ergänzungsband), Gütersloh 2013, 72f, 116. DBW 12, 260, 262f; DBW 14, 108; DBW 16, 298.
MARAHRENS, AUGUST (1875-1959): wurde am 11.10.1875 in Hannover geboren. 1925-1947 Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers; 1928-1950 Abt zu Loccum; 1933 Vorsitzender der Allgemeinen Lutherischen Konferenz. Ab 25.4.1933 als Lutheraner neben einem Unierten und einem Reformierten in dem Dreierkollegium, das (ab 4.5.1933 in Loccum zusammen mit Ludwig Müller, Hitlers Vertrauensmann
für Belange der evangelischen Kirche) bis zum 11.7.1933 eine Verfassung für eine einheitliche Deutsche Evangelische Kirche entwarf, die aber durch Kirchenkampf-Ereignisse wieder zerschlagen wurde. Die aus der Reichsbekenntnissynode von Barmen 29.-31.5.1934 hervorgehende Bekennende Kirche gab sich in Dahlem am 19./20.10.2934 eine bruderrätliche Leitung, in der auch die lutherischen Landeskirchen vertreten waren; am 22.11.1934 wurde eine Vorläufige Kirchenleitung der DEK unter Marahrens Vorsitz gebildet. Zwischen der Barmer und der Dahlemer Synode, am 25.8.1934, entstand in Hannover ein Lutherischer Rat. Marahrens war 1935-45 Präsident des Lutherischen Weltkonvents. Das am 16.7.1935 errichtete Reichskirchenministerium unter Hanns Kerrl bestellte zur Leitung der Landeskirchen Ausschüsse sowie einen Reichskirchenausschuss (RKA) unter Wilhelm Zoellner. Damit erloschen in der Sicht des nationalsozialistischen Regimes alle früheren kirchenleitenden Befugnisse. Als Marahrens am 12.12.1935 namens der VKL die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem RKA erklärte, stellte er die VKL als Vertretung eines Anliegens, nicht als Leitung hin, aber verschwand dann doch aus dem Vorsitz; die Auflösung der VKL war am 19.2.1936 vollzogen. Am 18.3.1936 konstituierte sich der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands; Marahrens war eines der sieben Mitglieder. Der Jurist Friedrich Werner, der ab Frühjahr 1937 die Geschicke der DEK Regime-konform bestimmte, ließ am 4.5.1939 die Godesberger Erklärung
veröffentlichen (Der Nationalsozialismus führt das Werk Martin Luthers nach der weltanschaulich-politischen Seite fort…
). Am 31.5.1939 äußerten Marahrens und andere Kirchenführer dem Reichskirchenminister Kerrl gegenüber Zustimmung zum Anliegen der Godesberger Erklärung
(die Evangelische Kirche solle sich in das völkisch-politische Aufbauwerk des Führers
einfügen). Am 29.8.1939 berief Werner in einen Geistlichen Vertrauensrat
für die DEK drei Männer, darunter Marahrens, der den Aufruf der DEK vom 2.9.1939 mit unterzeichnete, in dem es heißt: Seit dem gestrigen Tage steht unser deutsches Volk im Kampf für das Land seiner Väter, damit deutsches Blut zu deutschem Blute heimkehren darf
. – 1947 trat Marahrens vom Landesbischofsamt zurück. Er starb am 3.5.1950 in Loccum.
Vita aus:
D. Bonhoeffer. Der Weg in den Widerstand von Christian Gremmels und Heinrich W. Grosse ©1996 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh
Otte, Hans, „Marahrens, August“, in: Neue Deutsche Biographie 16 (1990), S. 100 f. [Onlinefassung]; URL: www.deutsche