Frank Fisher

Person

Frank Fisher und Dietrich Bonhoeffer waren im akademischen Jahr 1930/31, Ende September bis Ende April, Kommilitonen am Union Theological Seminary (UThS) in New York. Gleich im Oktober buchte Bonhoeffer eine Erkundungsexkursion nach Harlem, dem Stadtteil auf Manhattan nahe dem Seminar, wo auf einer Quadratmeile 170.000 "Colored People" wohnten. Seiner Zwillingsschwester Sabine schrieb er am 7.11.1930, bei vielen der 300 Leute im Seminar komme in Unterhaltungen wenig heraus, aber unter den "Negern" seien interessante Leute. Zu diesen gehörte Fisher. In der Ferienwoche Ende November sah Bonhoeffer, von Fisher geführt, in der Hauptstadt Washington, D.C., staunend das Memorial zu Ehren Abraham Lincolns, der als Präsident durch den Bürgerkrieg 1861-1865 das Halten schwarzer Sklaven in den Südstaaten beendete. (Im Seminar schrieb Bonhoeffer sich Lincolns Ansprache auf dem Schlachtfeld von Gettysburg sorgfältig ab.) Fisher machte Bonhoeffer in Washington mit führenden Leuten der "Negerbewegung" bekannt; in ihren "auffallend anständig" eingerichteten Häusern hatte Bonhoeffer "außerordentlich interessante Unterhaltungen". Die Trennung zwischen Schwarz und Weiß in den öffentlichen Verkehrsmitteln erschien ihm "ziemlich unglaublich". Er erlebte selbst, dass ein gemeinsames Essen mit Fisher in einem Restaurant unmöglich war. An der Howard University in Washington studierte Lee Cato Philipps, der im Sommer 1930 eine Betrachtung über das Lachen der Schwarzen angesichts ihrer Erniedrigung verfasst hatte; ein Blatt mit dem getippten Text legte Bonhoeffer in das Buch von Robert Russa Moton, What the Negro Thinks, New York 1930, das er sich anschaffte. Er notierte für eine Lehrveranstaltung im UThS den Rat des schwarzen Literaten James Weldon Johnson, nicht von den Weißen das Urteil zu übernehmen, sie wären eine minderwertige Rasse, sondern rassenstolz zu sein, doch dabei nicht das Lachen zu verlernen, das den amerikanischen Neger vor dem Schicksal der Indianer bewahre. (Am 1.3.1944, im Tegeler Gefängnis, erinnerte Bonhoeffer an diesen Unterschied zwischen den Afroamerikanern und den "zu ‘stolz‘ " untergehenden Indianern.) – Vom UThS aus ging Bonhoeffer mit Fisher in die Abyssinian Baptist Church in Harlem, 128 West 138th Street. Dort nahm die schwarze Gemeinde ihn auf, als hätte er schon immer dazugehört. Er wurde regelrecht zum Mitarbeiter in Sonntags-Gottesdiensten, Frauenbibelkreisen und Abendschulen, und man lud ihn in die Häuser ein. Den persönlichen Umgang mit den Gemeindegliedern empfand er als "eines der entscheidendsten und erfreulichsten Ereignisse" in Amerika – und als "erschütternd". Nach der Verfassung sind alle Menschen frei und gleich geschaffen, aber nach dem Verhalten der Weißen gehören die schwarzen Christen in die "Kirche der Verstoßenen Amerikas". – Mit der Widmung "To Franklin Fisher – Christmas 1930 – your friend  Dietrich Bonhoeffer" bekam Fisher einen Bildband über Deutschland. "The Book of American Negro Spirituals" samt Klavier-Noten, herausgegeben von Johnson, New York 1929, erhielt Bonhoeffer mit der Widmung "To my friend Dietrich Bonhoeffer with best wishes for the New Year [1931] ‘Frank‘ Fisher". Wohl wissend, dass er außerstande wäre, das schwarze Kirchen-Musizieren auf dem Klavier echt wiederzugeben, legte Bonhoeffer sich eine Schallplattensammlung von Spirituals zu (und entführte damit seine Predigtamtskandidaten in Finkenwalde 1935-1937 in eine "so gut wie unbekannte Welt"). – Am 29.2.1932 klagte Bonhoeffer seinem am UThS gewonnenen (weißen) amerikanischen Freund Paul Lehmann, dass Fisher "überhaupt noch nie geschrieben" habe. "Er kann doch einen Abend statt für seine lady friend für seinen boyfriend opfern." Bei Lehmann erkundigte er sich noch einmal am 14.12.1938 nach Fishers Ergehen. Aber Bonhoeffer sah Fisher, der ihm so Wichtiges vermittelt hatte, nie wieder.

Quelle:

Bethge, Eberhard: Dietrich Bonhoeffer. Theologe – Christ – Zeitgenosse. Eine Biographie. Gütersloh 20059, 186-188, 192. DBW 8, 344; DBW 10, 207, 212f, 274, 282, 392; DBW 17, 106.

FISHER, ALBERT FRANKLIN (1908-1960): war ein graziler Mann mit auffallend feinen Gesichtszügen, sehr dunkelhäutig (unter den Afroamerikanern wurden die ganz Schwarzen höher eingeschätzt als die fast Weißen). Studium der Theologie an der Howard University in Washington, D.C., bis 1930, dann in New York am Union Theological Seminary. Zuletzt Professor in Atlanta/Georgia; 1960 gestorben.

Vita aus:

Bethge, Eberhard: Dietrich Bonhoeffer. Theologe – Christ – Zeitgenosse. Eine Biographie. Gütersloh 92005.

Jean  LasserrePaul  Lehmann

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