Hans von Wedemeyer

Person

Hans von Wedemeyer hätte Dietrich Bonhoeffers Schwiegervater sein können. Dazu ist es nicht gekommen, da sich seine Tochter Maria von Wedemeyer erst Anfang Januar 1943 mit D.B. verlobte. Zu diesem Zeitpunkt war Hans von Wedemeyer an der Ostfront gefallen. D. B. und Hans von Wedemeyer lernen sich durch die Mutter von Hans von Wedemeyer, Ruth von Kleist-Retzow, kennen. D.B. hat seinen ältesten Sohn Maximilian von Wedemeyer (1922-1942), Zweitgeborener hinter Ruth-Alice von Wedemeyer und vor Maria von Wedemeyer konfirmiert. D.B. hat die Kinder Hans von Wedemeyers sowie andere aus der Familie Kleist-Retzow in der Enkelkinderpension Ruth von Kleist-Retzows in Stettin kennengelernt. In dieser Zeit lernt D.B. auch seine spätere Verlobte Maria v. W. kennen.
Als Dietrich Bonhoeffer im Tegeler Gefängnis Erinnerungen von Hans von Wedemeyer an seinen Vater liest, schreibt er seiner Braut Maria von Wedemeyer am 14.1.1944: Dass dies gerade die Tage sind, in denen wir uns vor einem Jahr verlobt haben, ist mir besonders lieb und wichtig; denn es ist ja nun doch so, daß ich an Mutter und Vater nicht denken kann, ohne an Dich zu denken und daß Du mir in beiden begegnest. Was für ein unbegreifliches Glück ist es für einen Menschen, Eltern zu haben, an die man nur mit tiefster Dankbarkeit und Ehrerbietung denken kann. (Braubriefe, S. 118f) Er erwähnt ein Gespräch mit Ruth von Kleist-Retzow, der Großmuter seiner Verlobten, über das Thema, ob Eltern die Freunde ihrer Kinder sein könnten. Er habe dies abgelehnt, da dies den göttlichen Ordnungen, den Mandaten Gottes widersprechen würde. In einem nicht mehr vollständig vorhandenen Brief geht D.B. erneut auf die Erinnerungen Hans von Wedemeyers an seinen Vater näher ein: Dieses Herbe im Verhältnis des Vaters zum Sohn ist ein Zeichen großer Kraft und innerer Sicherheit, die aus dem Bewußtsein der Heiligkeit des Vateramtes herkommt. Die heutigen Menschen sind meist zu schwächlich, sie haben Angst, die Liebe ihrer Kinder zu verlieren, degradieren sich selbst zu Kameraden und Freunden ihrer Kinder und machen sich schließlich gerade dadurch ihnen entbehrlich. Mir ist diese Erziehung, die keine ist, gräulich. Ich glaube, dass unsere Elternhäuser darin ähnliche Vorstellungen haben. (Brautbriefe S. 125). Ob Maria vom Wedemeyer mit dieser theologisch ethischen Sicht des Vateramtes als Charakterisierung ihrer Beziehung zu ihrem Vater übereinstimmt, kann hinterfragt werden. Sie selber schildert an verschiedenen Stellen des Briefwechsels mit ihrem Verlobten D.B. ein entspanntes, herzliches, fast kameradschaftliches Verhältnis zum ihrem Vater. So hat sie D.B. am 8.10.1943 geschrieben: Ich kann ja gar nicht durch den Wald oder die Felder gehen, ohne an jeder Stelle an Vater erinnert zu werden. Seit ich 8 Jahre wurde, ritt ich jeden Tag, den ich zu Hause war, durch die Felder mit ihm. Meist ritten wir schweigend, aber wir besprachen auch viele Dinge. Man sagt, daß ich Vater ähnlich bin. Das ist nur recht äußerlich gesehen, aber er verstand mich so gut und ich verstand ihn, auch wenn er nur wenig sagte. Er nannte mich sein Allerdümmstes und wenn ich einmal traurig war, so zog er mich am Zopf und sage: Halt die Ohren steif, Miesenmaus; und denk daran, daß Du Vaters Tochter bist. Dann war das schlimmste Heimweh heruntergeschluckt. (Brautbriefe, S. 66).
Maria von Wedemeyers Mutter hat angesichts des Kriegstodes ihres Mannes und ihres Sohnes von einer Verlobung abgeraten und, da dies gegen den Widerstand ihrer Tochter nicht abzuwenden ist, um einen Aufschub der Veröffentlichung gebeten. Die Nachwirkungen erlebt Maria von Wedemeyer bei einer Osterwoche der Berneuchner in Bundorf. Bei einer Sprecherlaubnis am 25.4.1944 erzählt sie D.B. davon. Am 26.4. schreibt sie ihm, immer noch innerlich bewegt, dazu in einem Brief. Prof. Stählin, Mitbegründer der Berneuchner Bewegung, habe zu Marias Tante gesagt, dass Maria von Wedemeyer die Osterwoche nicht mitmachen brauche. Denn sie halte nicht durch, da sie sich nun zwischen ihrem Vater und ihrem Verlobten entscheiden müsse. Dieser Satz beschäftigt sie intensiv: Im selben Augenblick aber wußte ich auch, daß es einfach nicht wahr ist. Ich täte Euch beiden damit sehr Unrecht, Dir und Vater...Daß ich Deine Braut und Vaters Tochter bin, läßt sich auch nicht auseinandertrennen. Es ist der wertvollste Besitz, den ich hier auf der Erde und in meinem Herzen habe. (Brautbriefe S. 174). Die kirchenpolitischen Hintergründe deutet Maria von Wedemeyer selber an und spricht D.B. in einem Antwortbrief aus: Kritik an der Eindeutigkeit der B.K und Spannung mit den Berneuchener Bewegung. Was zählt, so D.B., ist die persönliche Ebene: Nein, liebste Maria, zwischen Deinem Vater und mir brauchst Du nicht zu entscheiden...Ich glaube zuversichtlich, daß Vater und ich sich immer als christliche Brüder betrachtet hätten, auch wenn man in diesem oder jenem Punkt voneinander abgewichen wäre und vielleicht sogar Irrtümer beim anderen zu sehen gemeint hätte; wir wären gewiß beide ganz offen gewesen, beim anderen zu lernen und hätten einander in der Erkenntnis Christi und in der Liebe zu ihm nur helfen wollen. Und nun gar in dieser Zeit, in der es nicht um christliche 'Meinungen', sondern um die Entscheidung für oder gegen Christus überhaupt geht. Ich bin gewiß sehr für klare Entscheidungen, wo sie nötig sind, aber in dieser Zeit solcher notwendigen Entscheidungen darf man - um Gottes Willen! - die Menschen nicht noch in unechte, nicht-notwendige Entscheidungen hineinzwingen. (Brautbriefe, S. 175f) Zum Sachkonflikt äußert er sich: Ich will nicht Christ und Berneuchener, sondern Christ und ein freier Mensch sein; und darin allerdings wünschte ich sehr, daß wir einig wären. (ebda.)

Quelle:

Ruth-Alice von Bismarck /Ulrich Kabitz, Brautbriefe Zelle 92, München 1992 / Bethge, Eberhard: Dietrich Bonhoeffer. Theologe – Christ – Zeitgenosse. Eine Biographie. Gütersloh 2005.

WEDEMEYER, HANS VON (1888-1942): Hans von Wedemeyer wird am 31.07.1888 in Schönrade (Kr. Friedeberg, Neumark) als Sohn von Maximilian von Wedemeyer und Alice von Wedel auf Gerzlow geboren. Sein Vater ist über viele Jahre an den Rollstuhl gefesselt. Strenge Einfachheit und Disziplin sind Erziehungsziele. Als der Vierzehnjährige Hans von Wedemeyer Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Schöpfungsgeschichte hat, redet sein Vater mit ihm darüber. Ich weiß nicht, was mich mehr überzeugte: Vaters Worte oder die Tatsache, daß er mich ernst nahm. Sein Vater stirbt, als er 17 Jahr alt ist. In seiner Kindheit und Jugend ist Hans von Wedemeyer häufig erkrankt. 1908 erwirbt er sein Abitur in Freienwald / Oder. Von 1908-1910 studiert er in Heidelberg und Breslau Jurisprudenz. Nach dem juristischen Examen als Referendar absolviert er von 1910-1912 eine praktische Forstlehre in Hochzeit / Neumark und eine Landwirtschaftslehre in Charlottenhof / Neumark. Von 1913-14 leistet er seinen Militärdienst ab und wird zum Leutnant im 3. Garde-Ulanen-Regiment in Potsdam befördert. Die Kriegszeit von 1914-1918 verbringt er an der Westfront und in Palästina. Im Juni 1916 wird er Ordonannzoffizier bei Franz von Papen. Mit ihm geht er nach Palästina. Es entwickelt sich eine Freundschaft zwischen ihnen. Die Flucht des Kaisers und die Revolution am 9.11.1918 schmerzen ihn. Er findet kein anerkennendes Verhältnis zur Weimarer Republik.
Am 17.11.1918 heiratet er Ruth von Kleist-Retzow, die jüngste Tochter von Ruth von Kleist-Retzow, die mütterliche Freundin D.B.s. Sie haben sieben Kinder, darunter Maria von Wedemeyer. Hans von Wedemeyer ist Gutsbesitzer auf dem Rittergut Pätzig; er arbeitet im Grundbesitzerverband, gründet die berufsständische Arbeitsgemeinschaft im Kreis Königsberg / Neumark und den Rotwild-Jagdverein. Er wirkt mit am Aufbau und an der Führung des Stahlhelm im Kreis, dessen Führung er im Frühjahr 1933 nach der Eingliederung in die SA niederlegt. Er ist kirchenpolitisch engagiert und gründet die liturgische Bewegung der Berneucher mit. Einer seiner Freunde ist der Theologe Bernhard Ritter. Dieser schreibt über seine Gespräche mit Hans von Wedemeyer: Inhalt der Gespräche war alles nur Denkbare: Staat, Parteien, Kirche, Wissenschaft, Welt ...Ich muß ihm auseinandersetzen...,welches Urteil die Idealisten über Kants Philosophie gehabt hätten, ob es richtig sei, den Marxismus mit Hegels Philosophie zusammenzubringen...Kurz und gut, ein immer wieder überraschendes und mich zuweilen geradezu beängstigendes Bedürfnis nach vertiefender Besinnung und ausgreifender Bildung machte sich bei diesen Ritten über die Flure von Pätzig geltend....Er hatte eine instinktive Sicherheit im Umgang mit Kindern.
Hans von Wedemeyer ist der unumstrittene Mittelpunkt der Familie. Seine älteste Tochter Ruth-Alice von Bismarck erinnert sich, dass Maria von Wedemeyer beim Baden im Wartenberger See als erste auf dem Sprungbrett ist, obgleich sie noch nicht schwimmen kann. Vater, ich komme! ruft sie und springt ins tiefe Wasser. Mit dem Wechsel auf die Internatsschule, ändert sich die Qualität der Beziehung zum Vater. Ruth-Alice von Bismarck akzeptiert seine geistige und politische Führung. Maria, so schreibt sie, ist auf seine kreative, eher feminine Seite eingestimmt und reagiert auf seinen Humor, seine Spiel- und Tanzfreude und seine Liebe zur Schöpfung.
Ende 1932 beginnt Hans von Wedemeyers politische Zusammenarbeit mit Reichskanzler Franz von Papen in Berlin, den er bei der Zusammenstellung eines Kabinetts unterstützt. Dieser schmiedet hinter den Kulissen mit Hindenburgs Einverständnis einen Pakt mit Hitler. Hans von Wedemeyer durchschaut die Absichten Hitlers, den er zutiefst ablehnt. Er erlebt dessen Wutausbrüche und Unbeherrschtheit. Trotzdem wird er am 31.1.1933 Chef der Reichsvizekanzlei. Seine Frau erinnert sich: ...wie Hans am 29.1.33 spät abends zu mir nach Charlottenburg in die damalige Wohnung von Tante Pessi (Spes Stahlberg) kam. Er war in einer so völlig verzweifelten Verfassung, wie ich ihn nie zuvor und niemals nachher erlebt habe. Im Mai 1933 tritt er zurück. Er zieht er sich zurück auf sein Landgut. 1935 kauft er das Rittergut Klein-Reetz. 1936 / 37 führt er einen Verleumdungsprozess vor dem Ehrengerichtshof Berlin, der nach einer Berufungsverhandlung vor dem Reichsgericht in Leipzig bzw. Bad Schönflies mit einem Freispruch und einer Ehrenerklärung positiv endet. 1938/39 lässt er die Pätziger Kirche umbauen. Seine Kontakte reduzieren sich auf Gesprächspartner wie seine Schwäger Herbert von Bismarck und Hans Jürgen von Kleist-Retzow oder zu seinem Vetter und Jagdgefährten Henning von Tesckow, zu Fabian von Schlabrendorff und Ewald von Kleist-Schmenzin. Er wird am 1.9.1939 als Rittmeister der Ersatz-Reitschwadron eingezogen. Am 31.7.1942 meldet er sich an die Front beim Vormarsch auf Stalingrad. Am 22.08.1942 fällt er bei Werchnij Gniloy an der Ostfront.

Vita aus:

Ruth von Wedemeyer, In des Teufels Gasthaus. Eine preußische Familie 1918-1945, Moers 1997/ Ruth-Alice von Bismarck / Ulrich Kabitz (hg.) Brautbriefe Zelle 92 - Dietrich Bonhoeffer.Maria von Wedemeyer.1943-1945, München 1992, S. 225-233

Leben und Werk

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