Harald Poelchau

Platzhalter Personen

Platzhalter Personen

Von Rechts wegen hätte Harald Poelchau Dietrich Bonhoeffer nicht begegnen dürfen. Poelchau war im Krieg im Berlin-Tegeler Gefängnis Seelsorger der Zivilgefangenen in den Häusern I und II, nicht zuständig für die Wehrmachtsangehörigen im Mannschaftsrang im Haus III, zu denen Bonhoeffer, am 5.4.1943 eingeliefert, gehörte. Aber wie selbstverständlich wagte Poelchau den illegalen Schritt in Bonhoeffers Zelle, immer öfter seit Herbst 1943, zeitweise täglich.

Bonhoeffer berichtete in dem ersten Brief, den er seinem Theologenfreund Eberhard Bethge insgeheim zukommen ließ (18.11.1943), zur Zeit versuche ich, Gebete für Gefangene zu schreiben, die es merkwürdigerweise noch nicht gibt und die vielleicht Weihnachten verteilt werden sollen. Das tat Bonhoeffer auf Poelchaus Wunsch, und es entsprach Poelchaus Umgang mit Häftlingen, dass in den Gebeten die Bitte um Vergebung der Sünden nicht im Mittelpunkt steht, was seelsorgerlich und sachlich ganz verfehlt wäre. Bonhoeffer konnte mit Poelchau die neuen theologischen Gedanken besprechen, denen er ab Frühjahr 1944 nachsann. Und Poelchau erlebte Bonhoeffers Reaktion auf den 20. Juli 1944. Bonhoeffer an Bethge am 21. Juli: … Dann freut man sich einfach an den Losungen des Tages, wie ich mich zum Beispiel an der gestrigen und heutigen besonders freue … Darum denke ich dankbar und friedlich an Vergangenes und Gegenwärtiges … Gott führe uns freundlich durch diese Zeiten, aber vor allem führe er uns zu sich. Predigt Poelchaus am 20. Juli 1954 zum Lehrtext der Herrnhuter Losung vom 20. Juli vor zehn Jahren Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?, Römer 8,31: Und das Attentat misslang. Nachher, in vertrauten Gesprächen, die wir in der Zelle miteinander hatten, der eine und der andere, kam die Frage, die uns alle bewegte … Was ist denn nun mit diesem Wort Gottes? Auch wenn Gott am 20. Juli nicht für die Planung der Männer war, Hitler zu töten, diese Männer waren für Gott! Denn sie gingen mit reinen Händen und mit lauteren Herzen an ihr hartes Werk. Aber wichtiger als unser für Gott ist: Gott hat entschieden. Sein für Euch ist wichtiger als die Diskussion in unseren Zellengesprächen, ob es denn richtig war oder falsch.

Die Planung zur Tötung Hitlers hatte Bonhoeffer befürwortet, die Kreisauer hatten sie abgelehnt. Poelchau bezog sich in seiner Gedenkpredigt nicht auf Bonhoeffer, sondern sprach von der ganzen großen Widerstandsbewegung vorher und nachher.

Quelle:

Bethge, Eberhard: Dietrich Bonhoeffer. Theologe – Christ – Zeitgenosse. Eine Biographie. Gütersloh 20059, 897, 956, 967. DBW 8, 189, 204, 324, 541-543. Dietrich Bonhoeffer Jahrbuch 2003, 40. Ferdinand Schlingensiepen, Dietrich Bonhoeffer, München 2005.

POELCHAU, HARALD (1903-1972): wurde am 5.10.1903 in Potsdam geboren, wuchs ab 1905 auf  in Brauchitschdorf/Niederschlesien als einziges Kind eines aus dem Baltikum stammenden lutherischen Pfarrers, kam als Zehnjähriger auf die Ritterakademie in Liegnitz; Theologiestudium zuerst in Bethel (Erfahrung des Mit-Lebens mit den Kranken: Leid, wirkliches Leid, ist das Gegenteil von Depression), dann in Tübingen, 1924 in Marburg bei Ernst Tillich (unter dessen Einfluss Anhänger des Religiösen Sozialismus), 1926 in Breslau, und vor dem Konsistorium dort Erstes Theologisches Examen; als Predigtamtskandidat im Berliner Domkandidatenstift, gleichzeitig an der Wohlfahrtsschule (mit dem Abschluss: staatlich geprüfter Fürsorger); 1929 nach Frankfurt am Main zu Tillich als Assistent am philosophischen Lehrstuhl, 1931 Dr.phil. mit der Dissertation Das Menschenbild des Fürsorgerechts (gedruckt 1932 in Potsdam), beteiligt an den Neuen Blättern für den Sozialismus (im Dezember 1932 mit dem Artikel Zum Einbruch der Nationalsozialisten in die Körperschaften der evangelischen Kirche); in Breslau Zweites Theologisches Examen; 1933 vom neuen (NS-)preußischen Justizministerium eingesetzt als Pfarrer im Staatsdienst in der Strafanstalt Berlin-Tegel.

Er trat seinen Gemeindegliedern, den Häftlingen, von gleich zu gleich gegenüber. Nach der Beobachtung, dass bei Gefangenen nur zur Wirkung kommt, was emotional aufgenommen worden ist (1938), Ausbildung in Tiefenpsychologie. September 1941 Bekanntschaft mit Helmuth James von Moltke, dann Mitarbeit im Kreisauer Kreis; 1942 nebenamtlich Militärpfarrer in Plötzensee; Vorbereitung auf die und Beistand während der Hinrichtung vieler Zivilisten, Kriegsgefangenen und Widerstandskämpfer. 1945/46 Generalsekretär des Hilfswerks der Evangelischen Kirche in Deutschland; 1946-1950 Lehrauftrag für Kriminologie und Gefängniskunde an der Humboldt-Universität Berlin; 1946 Vortragender Rat (Gefängnisinspektor) in der Zentralverwaltung für Justiz der sowjetisch besetzten Zone; als in der Ende Mai 1949 gegründeten Deutschen Demokratischen Republik die Gefängnisse nicht mehr der Justiz, sondern der Polizei unterstanden, Rückkehr in das Tegeler Gefängnispfarramt; 1951 Sozialpfarrer in Berlin, Aufbau eines Amtes für Industrie- und Sozialarbeit der Berlin-Brandenburgischen Kirche.

Poelchau erhielt 1972 die Yad Vashem-Medaille der Gerechten der Völker in Anerkennung seiner unermüdlichen Rettungsaktionen für Juden. Er starb in Berlin am 29.4.1972.

Vita aus:

Bethge, Eberhard: Dietrich Bonhoeffer. Theologe – Christ – Zeitgenosse. Eine Biographie. Gütersloh 20059, 956. Jørgen Glenthøj Recherchen 1990. Die Predigten von Plötzensee, Berlin 2009, 266. Ferdinand Schlingensiepen, Dietrich Bonhoeffer, München 2005.

Leben und Werk

Bonhoeffer heute

Forschung

ibg