Ruth von Wedemeyer

Person

Ruth von Wedemeyer, genannt Ruthchen, ist die Tochter von Dietrich Bonhoeffers mütterlicher Freundin Ruth von Kleist-Retzow. Diese sorgt dafür, dass D.B. Ruth von Wedemeyers älteste Sohn Maximilian konfirmiert. Als Ruthchens Mann Hans von Wedemeyer im Krieg getötet wird, schreibt D.B. ihr einen Brief. Zu dieser Zeit besteht schon eine freundschaftliche Verbindung zwischen D.B. und ihrer Tochter Maria von Wedemeyer.
D.B. trifft Maria von Wedemeyer Anfang Juni 1942 bei ihrer Großmutter Ruth von Kleist-Retzow in Klein-Krössin. Maria v. W. erinnert sich später daran:Ich hatte gerade das Abitur gemacht und unternahm einige Familienbesuche...Dazu gehörte vor allem ein Besuch bei meiner Großmutter, zu der ich immer ein besonders nahes Verhältnis gehabt habe. Das war gegenseitig gewesen, weil sie in mir sich selbst als junges Mädchen wiederzuerkennen glaubte. Dort war ich eine Woche, und dann erschien, erstmal eigentlich ein bischen störend, der berühmte Pastor Bonhoeffer zu Besuch. Es entwickelte sich aber sehr schnell, daß wir zu dritt überaus gut miteinander konnten. Die Unterhaltung zwischen den beiden wurde so geführt, daß ich nicht nur zu verstehen glaubte, um was es ging, sondern auch sehr ermutigt wurde mitzureden...Wir unterhielten uns über Zukunftspläne. Mein Plan, Mathematik zu studieren, der von meiner Großmutter als dummer Flausen erklärt wurde, wurde aber von Dietrich...ernstgenommen. Wir gingen im Garten spazieren. Er erzählte, daß er in Amerika gewesen sei... (Brautbriefe S. 272). Diese Begegnung hat Nachwirkungen bei D.B. Er sucht Rat bei seinem Freund Eberhard Bethge (Brief vom 25.6.1942), weil er Maria von Wedemeyer gerne wiedersehen will.
Am 22. August fällt Hans von Wedemeyer vor Stalingrad. Maria von Wedemeyer kehrt aus dem Pflichtjahr in Altenburg zurück. Die Großmutter muss sich in Berlin einer Augenoperation unterziehen. Maria besucht sie dort häufig; ebenso D.B. In dieser Zeit lernen sie sich näher kennen. Maria v. W.  steht unter dem Schock des Todes des Vaters. Sie sucht D.B.s Hilfe. Er tröstet sie, erklärt ihr aber auch die unterschiedlichen Wege, Deutschland zu dienen - auch ohne Kriegsdienst oder sogar im Wirken gegen das NS-Regime. Maria von Wedemeyers Tagebuch in dieser Zeit gibt Einblick in diese Gespräche.
Am 26.10.1942 fällt auch ihr Bruder Maximilian v. W.. Die Großmutter ahnt die sich anbahnende Beziehung zwischen Maria von Wedemeyer und Dietrich Bonhoeffer und will sie unterstützen. So lädt sie, ohne es mit ihrer Tochter abzusprechen, D.B. zur Trauerfeier für Maximilian von Wedemeyer, dem ehemaligen Konfirmanden ein. Ihre Tochter Ruth von Wedemeyer lädt D.B. wieder aus. Maria v. W. erfährt davon und schreibt ihm am 11.11.1942 einen Brief. Sie habe von dem Brief ihrer Mutter an ihn nichts gewusst, habe aber gesehen, wie die Mutter ihn abgeschickt habe. Sie habe ihre Mutter nach dem Inhalt gefragt und sie habe die Absage bestätigt, einfach wegen einer dummen Familienquatscherei, die Großmutter ein bischen gefördert hatte. (Brautbriefe S. 274). D.B. antwortet ihr am 13.11. und bedankt sich für die Klarheit. Er kann den Wunsch der Mutter verstehen und ist froh, dass er nicht der Grund der Absage ist. Er fügt hinzu: ...und ich bitte Gott darum - verzeihen Sie, daß ich das so sage - daß er uns das bald, recht bald schenken möchte, und daß er uns so wieder zusammenführt, bald, recht bald. Ob Sie das verstehen können? Ob Sie es nicht ganz ebenso empfinden - ich hoffe es, ja ich kann es mir garnicht mehr anders denken. (Brautbriefe, S. 275). Maria v. W. versteht dieses Werben eines Wiedersehens, ist etwas verwirrt und erzählt davon ihrer Mutter. Diese hält ihre Tochter für zu jung, den Altersunterschied zwischen ihnen - 18 Jahre - zu groß und ahnt, dass D.B. im Widerstand verwickelt ist. Im November noch kommt es zu einem Gespräch zwischen D.B. und der Mutter. Er hält um die Hand ihrer Tochter an und geht auf ihren Wunsch einer einjährigen Wartezeit und Kontaktsperre ein: keine Briefe, kein Treffen. Maria von Wdemeyer erfährt von der Begegnung zwischen ihrer Mutter und D.B. Er habe auf ihre Mutter einen gewissen Eindruck gemacht...Das Überwältigende ist und bleibt, daß er mich wirklich heiraten will. (Brautbriefe S.277). Am 19.12. schreibt sie ihr Zweifel ins Tagebuch: Das Innerste und Eigentliche steht fest - auch ohne Liebe für ihn. Aber ich weiß, daß ich ihn lieben werde, - Ach, es gibt so viele äußere Gegengründe. - Er ist für sein Alter alt und weise, ist wohl ein rechter Gelehrtentyp. Wie werde ich mit meiner Freude für Tanz, Reiten. Sport, Vergnügen all dies entbehren können. (Brautbriefe S. 277). Im Januar 1943 fällt Maria von Wedemeyers Entschluss, D.B. heiraten zu wollen. Sie sucht das Gespräch und kämpft mit der Mutter. Es hat Tränen gekostet, schwere heiße Tränen...War es gut und fruchtbar? Ich erbitte dies, denn ich fühle, daß es für mein Leben bestimmend war und ist. Ich erbitte noch mehr: daß ich Mutter nicht überredete, sondern überzeugte. Daß sie mir nicht nachgibt, sondern es so als den rechten Weg ansehen kann. (Brautbriefe 277). Die Mutter gibt nach, besteht aber weiter auf der Wartezeit. Maria von Wedemeyer schreibt Dietrich Bonhoeffer am 13. Januar einen Brief mit ihrer Zusage. Dieser Tag gilt als Verlobungstag (s. Brautbriefe, S.278-280).
Nach dem Krieg äußert Ruth von Wedemeyer ihrer Tochter Maria gegenüber ihre Schuldgefühle, dass sie ein Zusammensein von Maria und Dietrich Bonhoeffer vor dessen Verhaftung verhindert habe. In einem Brief, ein Jahr vor ihrem eigenen Tod, schreibt Maria von Wedemeyer an die Mutter. ...Ich muß einfach nochmal wieder betonen, daß du das mit dem schlechten Gewissen nicht übertreiben mußt und darfst...Du müßtest Dir Vorwürfe machen, wenn Du das einfach so hättest passieren lassen. (Brautbriefe S. 237).
Maria von Wedemeyers Schwester Ruth-Alice von Bismarck charakterisiert die Beziehung zwischen Mutter und Tochter: Diese Mutter und diese Tochter lieben sich sehr, aber verstehen sich nur in Sternstunden.(Brautbriefe s. 237)

Quelle:

Ruth-Alice von Bismarck / Ulrich Kabitz, Brautbriefe Zelle 92. Dietrich Bonhoeffer.Maria von Wedemeyer.1943-1945, München 1992

WEDEMEYER, RUTH VON (1897-1985): Ruth von Wedemeyer wird am 19.04.1897 als Ruth von Kleist-Retzow als fünftes und jüngstes Kind des Ehepaares Jürgen von Kleist-Retzow (1854-1897) und Ruth von Kleist-Retzow, geb. Gräfin von Zedlitz und Trützschler (1867-1945) in Belgard / Pommern geboren. Ihr Vater stirbt ein halbes Jahr nach ihrer Geburt. Die Mutter sorgt für die fünf Kinder. 1913 übernimmt ihr ältester Bruder Hans - Jürgen die Leitung der Kleistschen Güter in Kiekow und Klein Krössin. Im gleichen Jahr heiratet er Maria von Diest. 1914 werden Hans-Jürgen und sein Bruder Konstantin von Kleist-Retzow sowie der Verwalter und Rechnungsprüfer der Güter eingezogen. Konstantin von kleist-Retzow erliegt seinen Verletzungen nach einem Flugzeugabsturz im 1. Weltkrieg 1917.
Die Mutter Ruth von Kleist-Retzow übernimmt wieder die Leitung der Güter. Die Tochter übernimmt das Gutsbüro. Deren Tochter Ruth-Alice von Bismarck schreibt: Sie ist eine scheue junge Frau, gewöhnt daran, hinter ihren älteren Schwestern zurückzustehen. Deshalb kommt sie nicht im Traum darauf, daß sich der gutaussehende Hans von Wedemeyer, der Kiekow auf Anregung seiner Mutter hin im August 1918 besucht, für sie interessieren könnte. Hans von Wedemeyer hält um ihre Hand an. Sie heiraten am 17.11.1918 in Kieckow und werden Eltern von sieben Kindern, darunter als Drittälteste Maria von Wedemeyer, die sich 1943 mit Dietrich Bonhoeffer verlobt. Ruth von Wedemeyer setzt sich auf dem Gut ihres Mannes für die Kranken des Dorfes ein. Sie leitet das Krippenspiel zu Weihnachten. Sie steht an der Seite ihres Mannes in den Kämpfen, die er zu bestehen hat. Mit preußischer Disziplin und Hingabe stürzt sie sich...in die vielfältigen Aufgaben einer Gutsfrau. (Brautbriefe, S. 234). Pferdegespräche und Bridge bedeuten ihr nichts. Sie ist das ordnende, strukturierende Element in der Erziehung. Maria v. W. gerät mit ihrer eigenen spontanen Energie mehr als die übrigen Geschwister mit ihr in Konflikt. Doch die Mutter ermöglicht ihr, ihren Vater bei Besuchen der Verwandten zu begleiten. Ihr Mann Hans von Wedemeyer sagt von ihr: Wenn wir beiden ein Ziel erreichen wollen, sucht sich meine Frau immer den steilsten und ich den einfacheren Weg. (zitiert Brautbriefe, S. 235). Sie ist eine Friedensvermittlerin in Konflikten Wenn Maria und ich uns gestritten hatten, hörte sie sich die Klagen, in der Mitte zwischen uns sitzend, an, drückte dann unsere Köpfe zusammen und sagte: Und nun vertragt euch wieder! (Zitat von Eva-Marete Ritter, aus Brautbriefes S. 236).
Während ihr Mann als Soldat eingezogen ist, übernimmt sie die Aufgaben in Pätzig. Sie unterrichtet Haus und Dorf vom Tod ihres Mannes am 22.8.1942 an der Ostfront. Sie überlebt den 2. Weltkrieg. Bewegend ist ihr Bericht von der abenteuerlichen Reise aus Westfalen, wohin sie vertrieben sind, zurück nach Pommern zu ihrer Mutter im Spätsommer 1945. Sie trifft ihre Mutter noch kurz vor deren Tod an und verweilt im Oktober 1945 an ihrem Sterbebett. Sie schaut sich nach dem Krieg Dokumentarfilme über KZs an und erkennt und bekennt ihre Mitschuld an den Verbrechen der Deutschen. Sie versucht, mithilfe der kleineren Kinder einen Gärtnereibetrieb aufzubauen. Dies scheitert. Sie leitet eine Stiftung zur Erholung für in der Kirche tätige Menschen in Berchtesgaden. Ihre Kinder Klaus und Werburg Doerr nehmen sie in ihr Haus auf. Ihrem kämpferischen Christentum bleibt sie bis ins hohe Alter treu: So macht sie die Wahl ihres Altenheimes abhängig von der Überzeugungskraft des Pfarrers. (Brautbriefe, S. 237). Sie stirbt im Jahr 1985.

Vita aus:

Ruth-Alice von Bismarck / Ulrich Kabitz (hg.) Brautbriefe Zelle 92, S. 233-237

Leben und Werk

Bonhoeffer heute

Forschung

ibg