Wegbereitung der Versöhnung. Öffentliche Theologie im Kontext gesellschaftlicher Versöhnungsprozesse

Aktuelle Meldung vom: 13.07.2022

Gesellschaftliche Versöhnungsprozesse sind hoch fragil und stellen alle Beteiligten, nicht zuletzt die Kirchen, vor komplexe und besondere Herausforderungen. Wie sind solche in vielen Kontexten der Welt zu beobachtenden Prozesse der Versöhnung theologisch zu deuten? Welche Beziehungen, Korrespondenzen und Kategorienabbrüche zwischen gesellschaftlicher Versöhnung und der Versöhnung Gottes mit den Menschen lassen sich bestimmen? Welche besondere Rolle haben die Kirchen vor dem Hintergrund ihrer Botschaft der Versöhnung in gesellschaftlichen Versöhnungsprozessen? Die Ende 2021 erschienene Studie „Wegbereitung der Versöhnung“ von Maximilian Schell stellt sich u. a. diesen Fragen und formuliert vor dem Hintergrund der komplexen Herausforderungen von sog. „Transformationsgesellschaften“, die angesichts von erlebter Gewalt, Massentötung und Genoziden den gesellschaftlichen Wiederaufbau auf multiplen Ebenen gestalten müssen, einen theologisch-ethischen Theoriekomplex der Versöhnung. Unter Rückgriff auf Überlegungen Bonhoeffers und Barths sowie im Diskurs mit Sozialpsychologie und -philosophie werden ausgehend vom Versöhnungshandeln Gottes individual- und sozial-ethische Kriterien für Versöhnungsprozesse von Übergangsgesellschaften unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der Kirche als soziale Akteurin generiert. Jene Kriterien werden sodann beispielhaft mit der Situation des post-genozidalen Ruandas ins Gespräch gebracht.

Dietrich Bonhoeffers Unterscheidung von den letzten und vorletzten Dingen sowie die Metapher der Wegbereitung sind dabei der zentrale heuristische Schlüssel für eine Versöhnungstheorie, die Gottes Versöhnungshandeln mit zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Versöhnungsprozessen zu verschränken vermag. Im Anschluss an Bonhoeffer geht die Studie von der Annahme aus, dass Christus als „Ursprung, Wesen und Ziel“ von Versöhnung gedacht werden kann. Innerweltliche Versöhnungsprozesse werden so theologisch als Wegbereitung markiert, die auf gesellschaftlicher Ebene in spezifischer Form ausgestaltet werden können und die immer wieder durch Gottes transformatives Handeln – als Einbruch des Letzten ins Vorletzte – begleitet und mitgestaltet werden. Das Letzte transformiert als disruptives Moment, als spürbarer Einbruch »vertikaler Versöhnung«, die Prozesse des innerweltlichen Versöhnungsprozesses, es schafft neue Freiräume des Fühlens, Denkens und Handelns, es schenkt durch seinen genuin vertikalen Charakter neue Blickwinkel inmitten des Eingefahrenen, es ist nicht vorhersagbar oder methodisch berechenbar. Die Arbeit bringt somit zentrale Theologumena u. a. Dietrich Bonhoeffers in den globalen ökumenischen Diskurs der Friedens- und Versöhnungsforschung ein und macht sie fruchtbar für konkrete lebensweltliche Problemfelder.

 

Maximilian Schell:

Wegbereitung der Versöhnung. Öffentliche Theologie im Kontext gesellschaftlicher Versöhnungsprozesse (Öffentliche Theologie 41),

EVA: Leipzig 2021, 320 Seiten, ISBN 978-3-374-06944-6, 48,00€

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