Was sollten die Kirchenmenschen damals tun, als das Desaster des Zweiten Weltkrieges mit all der Zerstörung der Kirchengebäude, aber auch des Vertrauens der Menschen in die Gegenwart Gottes in diesem Sterben und Vernichten immer deutlicher wurde? Das, was Jahrhunderte erlebt wurde an Führung durch Kirchenleitungen, was Pastoren von der Kanzel gepredigt hatten, schien überhaupt nicht mehr zu tragen. Die Kirche konnte nach den Schrecknissen nicht mehr so weiter machen wie bisher. Menschen wollten reden, ihre Probleme teilen, nachfragen wie es denn sei mit dem gnädigen Gott
, ob er sich wohl von dieser Erde zurückgezogen hätte. Menschen wollten die Alltagsprobleme vor Ort bereden, ihre Meinung, ihre Ängste und Nöte auch im Raum von Kirche und Gemeinde mitteilen, sich selber einbringen. Und dazu brauchte es auch im Erscheinungsbild der Gemeinde andere Formen von Versammlungsorten.
Neue Orte als Chance für die Kirche
Man suchte Orte, an denen auch in den Räumen der Gemeinde diskutiert, gefeiert, getrauert werden konnte. Außerdem baute man auch in Bremen neue Stadtteile, Menschen schufen und suchten neue Heimat und wanderten aus, an die Ränder der Städte. Das war die Chance auch für die Kirche, nicht nur den Menschen zu folgen, ihnen vor Ort zu begegnen. Aber das konnte sie nicht nur mit den herkömmlichen Kirchenhäusern tun. Und so baute man an diesen Rändern der Städte auch Kirchenhäuser, die völlig anders aussahen, oftmals ohne Turm und manchmal ohne Glocke, dafür aber mit einem Kindergarten. Man wollte dem Menschen in seiner Situation anders begegnen. Die Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde ist dafür ein beredtes Beispiel. Von dem Architekten Schröck erbaut war sie in ihrem Umfeld unübersehbar und nicht unbedingt vertraut für das Auge.
Bonhoeffers Name war Programm
Der Name des Theologen Dietrich Bonhoeffer war zugleich Programm. Kirche für andere
wollte man sein. Sorgen und Nöte, Unsicherheiten im Alltag wollte man in diesem Gemeindezentrum teilen – die Verkündigung wurde alltäglich, nicht auf den Sonntag bezogen. Die Veranstaltungen waren anders, teils politisch, also an den öffentlichen Fragen orientiert. Die Aussagen waren nicht immer populär. Mancher hat den Kopf geschüttelt, als an den Gebäuden das Schild Atomwaffenfreie Zone
hing, hat gespottet, als man in den Räumen der Gemeinde sich gegen den Ausbau der A-100 bemühte, der dann auch abgelehnt wurde. Und es war deshalb wohl auch fast folgerichtig, dass ausgerechnet von diesem Gemeindezentrum mit seinem Kindertagesheim der Anstoß zur integrativen Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderungen ausging.
Nicht mehr von der Kanzel herab reden
Hier wurde schnell Raum für Begegnungen der vom Krieg traumatisierten Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien geschaffen. Man wurde von hier aus verlässlicher Partner für die Menschen im Hotel Landgrafen
, im Übergangswohnheim am Waardamm. Man kümmerte sich. Und was hatte das mit der Verkündigung des Wortes Gottes zu tun? – Eine ganze Menge. Es wurde den Menschen nicht mehr von der Kanzel herunter gesagt, wie sie ihr Leben sinnvoll gestalten sollten, sondern das Leben der Menschen fand Eingang in die Auseinandersetzung mit dem Worte Gottes. Man prüfte, erwog, man war auch bereit, selbst das Althergebrachte zu hinterfragen und wurde so zum Partner der Menschen vor Ort auf allen Ebenen. Manches konnte vor der Zeit nicht bestehen, über anderes ist die Zeit auch dahingegangen, aber 50 Jahre Bonhoeffer-Geschichte sind schon eine geraume Zeit. In der Offenbarung Kap. 21, Vers 3 steht: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen!
, genau das wollte und will die Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde sein, 50 Jahre war sie es schon, manchmal ein Ärgernis, aber immer vor Ort.
Autor: Wulf-Traugott Kruse war von 1975-1999 Pastor der Dietrich Bonhoeffer-Gemeinde in Huchting