Dietrich Bonhoeffer in der Zionsgemeinde
Im November 1931 erging an den soeben zum Pfarrer ordinierten Dietrich Bonhoeffer ein Ruf seiner Kirche. In der Zionsgemeinde wurden dringend Vertretungskräfte benötigt. Bonhoeffer übernahm die verwaiste Konfirmandenklasse. Um sich besser um seine Konfirmanden kümmern zu können, mietete sich Bonhoeffer in der Oderberger Straße 61 ein.
Er schrieb: „… aber was mich gegenwärtig viel mehr beschäftigt, ist die Konfirmandenstunde, die ich 50 Jungens im Norden von Berlin gebe. Das ist so ungefähr die tollste Gegend von Berlin; mit den schwierigsten sozialen und politischen Verhältnissen. Anfangs benahmen sich die Jungen wie verrückt, sodass ich zum ersten Mal wirkliche Disziplinschwierigkeiten hatte. Aber auch hier half eines, nämlich dass ich den Jungen ganz einfach biblischen Stoff erzählte. … Da ich die Jungen bis zur Konfirmation behalte, muss ich alle 50 Eltern besuchen und werde zu diesem Zweck auf zwei Monate dort in die Gegend ziehen. Ich freue mich auf diese Zeit sehr. Das ist wirklich Arbeit. Die häuslichen Verhältnisse sind meist unbeschreiblich, Armut, Unordnung, Unmoral.“
Bonhoeffer spürte das Versagen seiner Kirche angesichts der zum Himmel schreienden Ungerechtigkeit der sozialen Verhältnisse. Die Weltwirtschaftskrise und mit ihr die Arbeitslosigkeit waren auf ihrem Höhepunkt. Vor diesem Hintergrund praktizierte er „Kirche für andere“: Er war für „seine Jungs“ jederzeit ansprechbar. Er brachte ihnen Schach und Englisch bei.
Um den Kindern eine würdevolle Konfirmation zu ermöglichen, kaufte er ihnen den Anzugstoff und schnitt ihn selbst zu. Im Anschluss an die Konfirmation fuhr Bonhoeffer mit acht Konfirmanden in das Ferienhaus seiner Eltern nach Friedrichsbrunn/Harz und ermöglichte einigen auf diese Weise den ersten Urlaub ihres Lebens.
Als 1933 der Kirchenkampf um die Frage des Machtanspruchs des Staates auf die Kirche ausbrach und sich in der Kirche die Haltung zur Einführung des sogenannten „Arierparagrafen“ zuspitzte, war Bonhoeffer nicht mehr an der Zionskirche tätig. Weitsichtig, und mit dieser Haltung ziemlich einsam, schrieb er im April 1933: „Die Kirche ist den Opfern jeder Gesellschaftsordnung in unbedingter Weise verpflichtet, auch wenn sie nicht der christlichen Gemeinde angehören. … Wenn die Kirche den Staat ein Zuviel oder ein Zuwenig an Ordnung und Recht ausüben sieht, kommt sie in die Lage, nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen.“
(Für den Text danken wir der Gemeinde der Zionskirche Berlin.)