Dietrich Bonhoeffer: Gemeinsames Leben/Das Gebetbuch der Bibel

Dietrich Bonhoeffer:

Gemeinsames Leben/Das Gebetbuch der Bibel

Werkausgabe, Band 5

Herausgegeben von Gerhard Ludwig Müller und Albrecht Schönherr

Dietrich Bonhoeffer Werkausgabe: Gemeinsames Leben/Das Gebetbuch der Bibel

Gebunden mit Schutzumschlag, 203 Seiten, 13,0 x 20,5 cm
ISBN: 978-3-579-01875-1

lm Zentrum dieses Textes steht die Beschreibung und Begründung einer spirituellen Praxis, die nicht die Auslöschung des eigenen lchs zum Ziel hat, sondern »den einzelnen frei, stark und mündig« machen will.

I

Paradoxerweise verdanken wir das Buch Gemeinsames Leben der Geheimen Staatspolizei. Denn diese hatte Ende September 1937 neben anderen Einrichtungen der Bekennenden Kirche auch das von Dietrich Bonhoeffer geleitete Predigerseminar und Bruderhaus in Finkenwalde, wo angehende Pfarrer gemeinsames Leben zu praktizieren versucht hatten, geschlossen und dadurch Bonhoeffer veranlaßt, aufzuschreiben, was er über das Leben einer christlichen Gemeinschaft zu sagen hatte.

Drei Jahre zuvor, so berichtet Eberhard Bethge, hatte es Bonhoeffer glatt abgelehnt, etwas über den Finkenwalder Stil zu schreiben, da er der Ansicht gewesen sei, erste Experimente seien nicht zur Veröffentlichung reif.

Er wollte zuerst Erfahrungen auf einem Feld sammeln, das von der evangelischen Kirche zu ihrem Schaden allzuwenig bestellt worden war. Das Vorwort sagt es in knapper Form: Die Gestaltung eines gemeinsamen Lebens unter dem Wort sei keine Angelegenheit privater Zirkel, sondern … eine der Kirche gestellte Aufgabe; die praktische Erprobung habe die kirchliche Bereitschaft zur Mithilfe wecken sollen, denn es gehe um eine Aufgabe, die die wachsame Mitarbeit aller Verantwortlichen benötige; Finkenwalde sei nur ein einzelner Beitrag dazu.

Auch andere hatten das Problem erkannt.So hatte z.B. schon 1937 Hans Joachim Iwand den Kandidaten des von ihm geleiteten Predigerseminars von der Gemeinschaft christlichen Lebens gepredigt.

Es ist bemerkenswert, wann und unter welchen Umständen Gemeinsames Leben entstand und erschienen ist. Bonhoeffer schrieb die ca. hundert Seiten in einem Zuge nieder, wie sich Eberhard Bethge erinnert,

und zwar im September/Oktober 1938 während eines merkwürdigen vierwöchentlichen Ferienaufenthalts im Göttinger Haus seiner eben emigrierten Zwillingsschwester Sabine Leibholz in der Herzberger Landstraße. Ich versuchte mich in die Barthsche Dogmatik (I, 2) einzulesen, er saß am Schreibtisch seines Schwagers und schrieb und schrieb. Es gab genußreiche Unterbrechungen: täglich eine Stunde auf dem Tennisplatz, gelegentlich eine Fahrt zu den Kasseler Musiktagen mit Philipp Emanuel Bachscher Musik und dem Erwerb eines dabei entdeckten Merzdorf'schen Clavichords. Aber es gab auch andere Unterbrechungen: die täglichen Nachrichten im englischen Rundfunk über die Zuspitzung der Sudetenkrise, die täglichen Telefonate mit Berlin, der Familie und dem Bruderrat über drohende Einziehungen, die zu befürchtende Stillegung aller Tätigkeiten der Bekennenden Kirche … Für die gesamte Bekennende Kirche hatte der Sommer den Tiefpunkt ihrer Schwäche und Schwindsucht gebracht, da die Mehrzahl der Pfarrer schließlich den Eid auf Hitler ablegte, den das offizielle Kirchenregiment als Geburtstagsgeschenk für den Führer nach dessen Einmarsch in Österreich angeboten hatte. Bonhoeffer hatte mit seinen Kandidaten leidenschaftlich auf Pfarrkonferenzen dagegen gestritten, vergeblich.

Wie es mit der Bekennenden Kirche stand, kam noch im September an den Tag, als sich viele weigerten, die Gebetsliturgie der VKL zur Tschechenkrise im Gottesdienst zu verwenden.

Zur selben Zeit spitzte sich auch im familiären Bereich die Lage zu. Am 8. September 1938 war Gerhard Leibholz, ein getaufter Nichtarier – wie die diskriminierende Terminologie damals lautete –, mit seiner Frau Sabine, der Zwillingsschwester Dietrich Bonhoeffers, in die Schweiz und von dort nach England geflohen, weil sie mit verschärften Paß-Maßnahmen gegen Bürger jüdischer Herkunft rechnen mußten. Zu alledem liefen die ersten Vorbereitungen für einen Putsch, an denen der Schwager Hans von Dohnanyi maßgeblich beteiligt war. In dieser politisch, kirchlich und persönlich angespannten Situation arbeitete Dietrich Bonhoeffer mit höchster Konzentration an der kleinen Schrift Gemeinsames Leben. Er war überzeugt, daß der Anspruch der Bekennenden Kirche, die Kirche Jesu Christi in dieser Zeit in Deutschland zu sein, hohl wäre, wenn sie sich nicht als Gemeinschaft aus dem Wort und unter dem Wort immer aufs neue berufen, stärken und trösten ließe. Als Beitrag dazu ist Gemeinsames Leben zu verstehen.

Die Fülle biblischer Bilder und Impulse, frömmigkeitsgeschichtlicher Bezüge und sozialpsychologischer Erkenntnisse vermochte Bonhoeffer mit großer kompositorischer Kraft zu einer überzeugenden Einheit zusammenzufügen. Das Fernhalten alles romantischen Schwärmens macht den Blick empfänglich für die engagierte Hingabe des Glaubens und die Bereitschaft zum Dienst an den Brüdern, wie sie den Geist jeder lebendigen Kommunität bestimmen. Man wird freilich nicht übersehen dürfen, daß nach 1945 die isolierte Lektüre von Gemeinsames Leben einem schwärmerischen Verständnis des Buches gelegentlich Vorschub geleistet hat. Deshalb bemüht sich das Nachwort um seine Einordnung in das theologische Gesamtwerk Bonhoeffers.

Gemeinsames Leben erschien in 1. – 3. Auflage 1939 im Chr. Kaiser Verlag München als Heft 61 der damals von Eduard Thurneysen herausgegebenen Schriftenreihe Theologische Existenz heute. Bereits ein Jahr später war eine 4. Auflage nötig geworden; sie wurde 1940 unter Berichtigung einiger Druckfehler, im übrigen aber unverändert, als Separatdruck im Evangelischen Verlag Albert Lempp/früher Chr. Kaiser Verlag herausgebracht. Die 5. Auflage konnte erst nach dem Krieg, 1949, wieder im Chr. Kaiser Verlag München erscheinen. Daß 1980 in der Deutschen Demokratischen Republik eine 4. Auflage, in der Bundesrepublik 2001 die 26. Auflage gedruckt werden konnte, belegt eindrücklich die bis heute ungebrochene Anziehungskraft von Gemeinsames Leben.

II

Wir geben dieser Ausgabe im Rahmen der Dietrich Bonhoeffer Werke (DBW) eine kleine Bibelarbeit Bonhoeffers zu den Psalmen bei, die praktisch eine erweiterte Ausführung dessen ist, was im zweiten Abschnitt von Gemeinsames Leben zum Verständnis und zum Umgang mit den Psalmen gesagt wird. Es ist die letzte von Bonhoeffer selbst herausgegebene Schrift. Sie trägt den Titel Das Gebetbuch der Bibel. Eine Einführung in die Psalmen und ist 1940 im Verlag für Missions- und Bibelkunde Bad Salzuflen, als Heft 8 der Reihe Hinein in die Schrift erschienen.

Ihre genaue Entstehungszeit läßt sich nicht mehr datieren. Da sich Bonhoeffer aber während der Zeit des Sammelvikariats in Ostpommern intensiv mit den Psalmen beschäftigt hat, kann man vermuten, daß er sie damals – Anfang 1940 – auch geschrieben hat. Das von Bonhoeffer selbst gewünschte und ausgewählte Titelbild zeigt die Skulptur des Königs David vom Wormser Dom (1483). Die Absicht war, daran zu erinnern, daß Gott die christliche Gemeinde durch die Psalmen verbindlich anspreche, und zwar durch den Mund eines jüdischen Königs, – eine damals theologisch wie politisch brisante Aussage.

An die Schrift schloß sich, auch wegen der beiden Bücher Nachfolge und Gemeinsames Leben, ein unerfreulicher Schriftwechsel zwischen der sog. Reichsschrifttumskammer und Bonhoeffer an. Die Veröffentlichung trug dem Verfasser wegen Verstoßes gegen die Meldepflicht eine Ordnungsstrafe von 30 Reichsmark ein, zudem das Verbot weiterer schriftstellerischer Betätigung.

Am 22. April 1941 erhob Bonhoeffer Einspruch, indem er sich darauf berief, daß die beanstandeten Schriften wissenschaftliche und darum der Meldepflicht nicht unterliegende Arbeiten seien. Im übrigen wären sie so ungenau bezeichnet, daß sie der Kammer offensichtlich nicht vorgelegen hätten. Der Präsident der Kammer hob die Ordnungsstrafe wieder auf, bekräftigte jedoch das Veröffentlichungsverbot, nicht ohne darauf hinzuweisen, daß er Geistliche wegen überwiegender dogmatischer Bindung nicht ohne weiteres als Wissenschaftler im Sinne der Kammer anerkennen könne. Nach dem Krieg erreichte die Schrift im selben Verlag mehrere Auflagen, deren letzte, die 12., 1986 erschien.

III

Die vorliegende Neuausgabe basiert auf den jeweils letzten von Bonhoeffer autorisierten Auflagen:

  • Gemeinsames Leben, 4. Aufl. München: Evangelischer Verlag Albert Lempp/früher Chr. Kaiser Verlag, 1940.
  • Das Gebetbuch der Bibel. Eine Einführung in die Psalmen (Hinein in die Schrift 8), Bad Salzuflen: MBK-Verlag. Verlag für Missions- und Bibel-Kunde, 1940.

Die Manuskripte zu beiden Schriften sind verschollen.

Für die Präsentation des Textes gilt entsprechend den Richtlinien zur Edition der Dietrich Bonhoeffer Werke, daß die von Bonhoeffer autorisierte Textgestalt unangetastet bleibt; lediglich einige offenkundige Druckfehler werden stillschweigend korrigiert. Sperrungen sind kursiv wiedergegeben.

Der Apparat der Herausgeber ist knapp gehalten worden. Er dient primär dem Zitatnachweis, der Übersetzung fremdsprachiger Begriffe und Wendungen sowie der Erläuterung von Fachtermini und Anspielungen. Die Wiedergabe von Bibeltexten wurde durchgehend verglichen mit der von Bonhoeffer damals benutzten Konfirmationsbibel seines 1918 gefallenen Bruders Walter, die dieser zum 17. März 1914 von seiner Mutter geschenkt bekommen hatte.

Geringfügige Abweichungen vom Luthertext, mit dem Bonhoeffer nach eigenem Urteil und sprachlichem Geschmack frei umging, eigens zu vermerken, erschien uns nicht notwendig. Nur wo es sich um auffällige, das Verständnis sachlich betreffende Abweichungen handelt, sind sie in den Anmerkungen verzeichnet. Im Blick auf die neutestamentlichen Zitate orientierte sich Bonhoeffer dabei auch am griechischen Text.

Für bibliographische Nachweise werden in der Regel Kurztitel verwendet; die vollständigen Angaben sind dem Literaturverzeichnis zu entnehmen.

Die Innenpaginierung verweist auf die am meisten verbreiteten Nachkriegsausgaben von Gemeinsames Leben (10. – 21. Aufl. München 1961 – 1986) bzw. auf den in den Gesammelten Schriften wiedergegebenen Text von Das Gebetbuch der Bibel (GS IV 544 – 569). Die in der Kopfleiste genannten Seiten beginnen jeweils nach dem senkrechten Strich im Text.

Den zwei Texten Bonhoeffers ist ein ausführliches kommentierendes Nachwort der Herausgeber in drei Teilen angefügt. Albrecht Schönherr gibt aus der Perspektive persönlicher Erfahrung einen Einblick in die biographischen, kirchlichen und zeitgeschichtlichen Voraussetzungen der Entstehung beider Schriften und bündelt darüber hinaus erste Hinweise auf ihre Wirkungsgeschichte. Im zweiten Teil versucht Gerhard L. Müller, der auch den Herausgeberapparat verantwortet, in Geist und Gehalt von Gemeinsames Leben einzuführen und die Schrift in das Ganze des Lebens und der Theologie von Dietrich Bonhoeffer einzuordnen. Mit knappen, ebenfalls von Gerhard L. Müller verfaßten Bemerkungen zum Gebetbuch der Bibel wird das Nachwort der Herausgeber beschlossen.

Herzlich danken wir Ilse Tödt für zahlreiche Anregungen und Matthias Bahr und Martin Antwerpen für ihre Mithilfe beim Erstellen der Register. Ebenso gilt unser Dank Ulrich Kabitz und Herbert Anzinger sowie Eberhard Bethge, der von seiten der Gesamtherausgeber DBW diesen Band mitbetreut hat.

Gerhard L. Müller
Albrecht Schönherr
München und Waldesruh, 30. Dezember 1986

Dietrich Bonhoeffer GEMEINSAMES LEBEN

13

Vorwort

14

Gemeinschaft

15

Der gemeinsame Tag

35

Der einsame Tag

65

Der Dienst

77

Beichte und Abendmahl

93

DAS GEBETBUCH DER BIBEL Eine Einführung in die Psalmen

105

Die Beter der Psalmen

110

Namen, Musik, Versgestalt

113

Der Gottesdienst und die Psalmen

115

Einteilung

117

Die Schöpfung

117

Das Gesetz

118

Die Heilsgeschichte

119

Der Messias

120

Die Kirche

121

Das Leben

122

Das Leiden

124

Die Schuld

126

Die Feinde

128

Das Ende

130

Leben und Werk

Bonhoeffer heute

Forschung

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