»Er weckt mich alle Morgen«

Jeder neue Morgen ist ein neuer Anfang unsers Lebens.
Jeder Tag ist ein abgeschlossenes Ganzes. Der heutige
Tage ist die Grenze unsers Sorgens und Mühens (Matthäus 6, 34;
Jakobus 4, 14). Er ist lang genug, um Gott zu finden oder zu verlieren,
um Glauben zu halten oder in Sünde und Schande zu fallen.
Darum schuf Gott Tag und Nacht, damit wir nicht im
Grenzenlosen wanderten, sondern am Morgen schon das Ziel
des Abends vor uns sähen. Wie die alte Sonne doch täglich neu
aufgeht, so ist auch die ewige Barmherzigkeit Gottes alle Morgen
neu (Klagelieder 3, 23). Die alte Treue Gottes allmorgendlich neu
zu fassen, mitten in einem Leben mit Gott täglich ein neues
Leben mit ihm beginnen zu dürfen, das ist das Geschenk, das
Gott mit jedem neuen Morgen macht. …
Nicht die Angst vor dem Tag, nicht die Last der Werke, die ich
zu tun vorhabe, sondern der Herr »weckt mich alle Morgen;
er weckt mir das Ohr daß ich höre wie ein Jünger«; so heißt es
vom Knecht Gottes (Jesaja 50, 4). Bevor das Herz sich der Welt
aufschließt, will Gott es sich erschließen, bevor das Ohr die
unzähligen Stimmen des Tages vernimmt, soll es in der Frühe
die Stimme des Schöpfers und Erlösers hören. Die Stille des
ersten Morgens hat Gott für sich selbst bereitet. Ihm soll sie
gehören.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Illegale Theologenausbildung: Finkenwalde 1935-1937
, DBW Band 14, Seite 871ff

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