Die rettende Stunde

Die seltsame Unbestimmtheit, die über dem Epiphaniasfest
liegt, ist so alt wie das Fest selbst. Es steht fest, daß längst
bevor Weihnachten gefeiert wurde, Epiphanias in den Kirchen
des Morgen- und Abendlandes als höchster Festtag der winterlichen
Jahreshälfte galt. Die Ursprünge sind dunkel. Gewiß ist,
daß von jeher vier verschiedene Ereignisse an diesem Tag
Gegenstand des Gedenkens waren: die Geburt Christi, die
Taufe Christi, die Hochzeit zu Kana und die Ankunft der
Magier aus dem Morgenland. … Wie dem auch sei, die Kirche
hat seit dem 4. Jahrhundert die Geburt Christi aus dem Epiphaniasfest
herausgelöst. … Die Ablösung der Feier der Geburt
Christi vom Tauftag Christi war von großer Bedeutung. Es
hatte sich in gnostischen und häretischen Kreisen des Ostens
der Gedanke gebildet, daß der Tauftag eigentlich erst der
Geburtstag Christi als des Sohnes Gottes sei. … Darin aber lag
die Möglichkeit eines gefährlichen Irrtums beschlossen, nämlich
einer Mißachtung der Fleischwerdung Gottes. … Hätte
Gott nur den Menschen Jesus in der Taufe als seinen Sohn
angenommen, so blieben wir unerlöst. Ist aber Jesus der Sohn
Gottes, der von seiner Empfängnis und Geburt an unser eigenes
Fleisch und Blut angenommen hat und trägt, dann allein ist er
wahrer Mensch und wahrer Gott; dann allein kann er uns helfen;
dann aber hat uns in seiner Geburt wirklich »die rettende
Stunde geschlagen«, dann ist die Geburt Christi das Heil aller
Menschen.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Illegale Theologenausbildung: Sammelvikariate 1937-1940
, DBW Band 15, Seite 544 ff

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