Die Flucht nach Ägypten

Das Jesuskind muß mit seinen Eltern fliehen. Hätte Gott es
nicht auch in Bethlehem vor Herodes hüten können?
Gewiß, aber nicht danach haben wir zu fragen, was Gott alles
wollen und tun könnte, sondern was er wirklich will. Gott will,
daß Jesus nach Ägypten flieht, er zeigt damit, daß der Weg Jesu
gleich von Anfang an ein Weg der Verfolgung ist, aber er zeigt
auch, daß er Jesus behüten kann und daß Jesus nichts zustoßen
wird, solange es Gott nicht zuläßt. Jesus lebt nun in Ägypten,
dort, wo sein Volk einst in Knechtschaft und Not hatte leben
müssen. Der König soll nun sein, wo sein Volk war. Er soll die
Geschichte seines Volkes am eigenen Leibe durchleben. In
Ägypten litt Israel Not, in Ägypten fing die Not Jesu an, in
Ägypten mußten Gottes Volk und sein König in der Fremde
im Elend leben. Aus Ägypten aber führte Gott sein Volk ins
Gelobte Land, und aus Ägypten rief Gott seinen Sohn zurück
in das Land Israel. Was einst der Prophet im Blick auf das Volk
Israel gesagt hatte, das erfüllt sich nun an Jesus: »Aus Ägypten
habe ich meinen Sohn gerufen« (Hosea 11, 1). Die Flucht nach
Ägypten war kein blinder Zufall, sondern göttliche Verheißung
und Erfüllung. In Ägypten wurde Jesus ganz eins mit den Leiden
und den Freuden seines Volkes, des Volkes Gottes, unser
aller. In Ägypten ist er mit uns in der Fremde, mit ihm werden
wir auch aus der Fremde ausziehen in das Land Gottes.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Illegale Theologenausbildung: Sammelvikariate 1937-1940
, DBW Band 15, Seite 494 f

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