Im Wechsel des Tages lebt die Welt. Der Tag hat eigenes
Sein, eigene Gestalt, eigene Macht. … Der Tag bleibt das
erste Geschöpf Gottes, das Wunderbare und Mächtige in der
Hand Gottes. Uns ist der Tag in seiner Geschöpflichkeit und
Wunderbarkeit ganz versunken. Wir berechnen und verrechnen
ihn, wir lassen ihn uns nicht schenken, wir leben ihn
nicht. Heute weniger denn je, die Technik ist der Kriegszug
gegen den Tag. … Daß das Ungestalte am Morgen zur Gestalt
wird und des Abends ins Gestaltlose zurücksinkt, daß das helle
Gegenüber des Lichtes sich auflöst zur Einheit im Dunkel, daß
der lebendige Lärm im Schweigen der Nacht verstummt, daß
dem gespannten Wachen im Licht der Schlaf folgt, daß es
Zeiten des Wachens und des Schlummerns in der Natur, in
der Geschichte, in den Völkern gibt – das alles ist es, was die
Bibel meint, wenn sie von der Schöpfung des Tages redet
(1 Mose 1, 4 b-5), von dem menschenlosen Tag, der alles, auch
das Menschenlos, trägt. Der Rhythmus, der Ruhe und Bewegung
in einem ist, der schenkt und nimmt und wieder schenkt
und wieder nimmt, der so der ewige Hinweis auf Gottes Schenken
und Nehmen ist, auch Gottes Freiheit jenseits von Ruhe
und Bewegung – das ist der Tag.
Quelle:
Schöpfung und Fall, DBW Band 3,
Seite 45 f