Das Gewissen, die Scham vor Gott

Adam kann nicht mehr vor seinem Schöpfer stehen
(1 Mose 3, 8-13). … Ihm ist der Sturz nicht genug, er kann
nicht schnell genug fliehen. Diese Flucht, dieses sich vor Gott
verbergen des Adams nennen wir Gewissen. Vor dem Fall gab
es kein Gewissen. Erst durch die Entzweiung mit dem Schöpfer
ist der Mensch in sich selbst entzweit. Und zwar ist dies die
Funktion des Gewissens, den Menschen in die Flucht vor Gott
zu jagen, um damit im Grund wider Willen Gott recht zu geben,
und doch andererseits auf dieser Flucht den Menschen
sich gesichert fühlen zu lassen. … Das Gewissen treibt den
Menschen von Gott weg in das gesicherte Versteck. Hier in der
Gottesferne spielt er dann selbst den Richter und weicht eben
hierdurch dem Gericht Gottes aus. Der Mensch lebt nun wirklich
aus seinem eigenen Guten und Bösen, aus seiner innersten
Entzweiung mit sich selbst. Das Gewissen ist die Scham vor
Gott, in der zugleich die eigene Bosheit verborgen wird, in der
der Mensch sich selbst rechtfertigt und in der doch andererseits
zugleich der Hinweis auf den anderen wider Willen enthalten
ist. Das Gewissen ist nicht die Stimme Gottes im sündigen
Menschen, sondern gerade die Abwehr gegen diese Stimme,
die aber eben als Abwehr doch wiederum wider Wissen und
Wollen auf die Stimme hinweist.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Schöpfung und Fall
, DBW Band 3, Seite 119 f

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