Das Wissen um Gut und Böse

Das Gewissen läßt das Verhältnis zu Gott und Menschen
aus dem Verhältnis des Menschen zu sich selbst hervorgehen.
Das Gewissen gibt sich als die Stimme Gottes und als die
Norm des Verhältnisses zum anderen Menschen aus. Aus dem
rechten Verhältnis zu sich selbst also soll der Mensch das
rechte Verhältnis zu Gott und Mensch zurückgewinnen. Diese
Umkehrung ist der Anspruch des Gottgleichgewordenen
Menschen in seinem Wissen um Gut und Böse. … Das Wissen
um Gut und Böse in sich tragend ist der Mensch Richter über
Gott und Mensch geworden, wie er Richter über sich selbst ist.
In der Entzweiung mit dem Ursprung um Gut und Böse wissend,
tritt der Mensch in die Reflektion auf sich selbst ein. Sein
Leben ist nun sein Sich selbst verstehen, wie es im Ursprung
sein Gott-wissen war. Selbsterkenntnis ist Wesen und Ziel des
Lebens. Das bleibt auch dort so, wo der Mensch über die
Grenzen des eigenen Selbst hinausdrängt. Selbsterkenntnis ist
die nie zum Ende gelangende Bemühung des Menschen die
Entzweiung mit sich selbst denkend zu überwinden, durch
unaufhörliches Sich unterscheiden von sich selbst zur Einheit
mit sich selbst zu kommen.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Ethik
, DBW Band 6, Seite 309 f

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