Leiden muß etwas ganz anderes sein

Zum zweiten Mal erlebe ich die Passionszeit hier [im Gefängnis].
Ich wehre mich innerlich dagegen, wenn ich in
Briefen Wendungen lese, die von meinem »Leiden« sprechen.
Mir kommt das wie eine Profanierung vor. Man darf diese Dinge
nicht dramatisieren. Ob ich mehr »leide« als die meisten
Menschen heute überhaupt, ist mir mehr als fraglich. Natürlich
ist vieles scheußlich, aber wo ist es das nicht? Ich habe mich
früher manchmal darüber gewundert, wie lautlos die Katholiken
über diese Fälle hinweggehen. Sollte das aber doch die
größere Kraft sein? Vielleicht wissen sie aus ihrer Geschichte
besser, was wirklich Leiden und Martyrium ist. Ich glaube z. B.,
daß zum »Leiden« entscheidend auch das körperliche Leiden
hinzugehört. Wir betonen so gern das seelische Leiden; gerade
dieses aber sollte uns Christus abgenommen haben und ich
finde im Neuen Testament oder auch in den altchristlichen
Märtyrerakten nichts davon. Es ist doch wohl ein großer Unterschied,
ob die »Kirche leidet« oder ob einem ihrer Diener
dieses oder jenes widerfährt. Ich glaube, hier muß manches
korrigiert werden; ja, offen gestanden, ich schäme mich manchmal
fast, wie viel wir von unseren eigenen Leiden gesprochen
haben. Nein, Leiden muß etwas ganz anderes sein, eine ganz
andere Dimension haben, als was ich bisher erlebt habe.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Widerstand und Ergebung
, DBW Band 8, Seite 356 f

Gedanken zum 5. März

Leben und Werk

Bonhoeffer heute

Forschung

ibg