Warum hast du mein vergessen?

Warum hast du mein vergessen? Jedem Christen kommt
einmal diese Frage über die Lippen, wenn alles gegen
ihn steht, wenn ihm alle irdische Hoffnung zerbricht, wenn er
sich in dem Lauf der großen Weltereignisse gänzlich verloren
fühlt, wenn alle Lebensziele scheitern und alles sinnlos scheint.
Dann aber kommt es darauf an, an wen er diese Frage richtet.
Nicht an ein dunkles Schicksal, sondern an den Gott, der mein
Fels ist und bleibt, der ewige Grund, auf dem mein Leben ruht.
Ich gerate in Zweifel, Gott bleibt fest wie ein Fels; ich schwanke,
Gott steht unerschütterlich; ich werde untreu, Gott bleibt
treu. … Schmach dulden und zum Gespött werden um des
Glaubens willen, das ist eine Auszeichnung der Frommen seit
Jahrtausenden. Es tut Leib und Seele weh, wenn kein Tag vergeht,
ohne daß der Name Gottes angezweifelt und gelästert
wird. Wo ist nun dein Gott? Ich bekenne ihn vor der Welt und
vor allen Feinden Gottes, wenn ich in tiefster Not an Gottes
Güte, in Schuld an die Vergebung, im Tod an das Leben, in der
Niederlage an den Sieg, in der Verlassenheit an Gottes gnädige
Gegenwart glaube. Wer Gott im Kreuze Jesu Christi gefunden
hat, weiß, wie wunderlich sich Gott in dieser Welt verbirgt und
wie er gerade dort am nächsten ist, wo wir ihn am fernsten
glauben.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Illegale Theologenausbildung: Finkenwalde 1935-1937
, DBW Band 14, Seite 858 f

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