In der Wüste

Das Evangelium berichtet, daß Jesus vom Geist in die Wüste
geführt wird, auf daß er vom Teufel versucht würde
(Matthäus 4, 1). Also nicht damit beginnt die Versuchung, daß der
Vater den Sohn ausrüstet mit allen Kräften und Waffen, damit
er den Kampf bestehe, sondern: der Geist führt Jesus in die Wüste,
in die Einsamkeit, in die Verlassenheit. Gott nimmt seinem
Sohn alle Hilfe von Menschen und Kreatur. Die Stunde der
Versuchung soll Jesus schwach, einsam und hungrig finden.
Gott läßt den Menschen in der Versuchung allein. So muß
Abraham auf dem Berge Morija ganz allein sein (1 Mose 22).
Ja, Gott selbst verläßt den Menschen vor der Versuchung.
So ist es wohl zu verstehen, wenn es 2 Chronik 32, 31 heißt:
Gott verließ den Hiskia also, daß er ihn versuchte; oder wenn
die Psalmisten immer wieder rufen: Gott, verlaß mich nicht
(Psalm 38, 22; 71, 9.18; 119, 8).
»Verbirg dein Antlitz nicht vor mir … laß mich nicht und tue
nicht von mir die Hand ab, Gott, mein Heil« (Psalm 27, 9).
Was allem menschlich- ethisch- religiösen Denken unbegreiflich
bleiben muß: Gott erzeigt sich in der Versuchung nicht als
der Gnädige und Nahe, der uns mit allen Gaben des Geistes
ausrüstet, sondern er verläßt uns, er ist uns ganz ferne, wir sind
in der Wüste.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Illegale Theologenausbildung: Sammelvikariate 1937-1940
, DBW Band 15, Seite 378

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