Jesus tritt in die Schuld der Menschen ein

Jesus will nicht auf kosten der Menschen als der einzig
Vollkommene gelten, will nicht als der einzig Schuldlose
auf die unter ihrer Schuld zugrundegehende Menschheit herabsehen,
will nicht über den Trümmern einer gescheiterten
Menschheit irgendeine Menschenidee triumphieren lassen.
Die Liebe zum wirklichen Menschen führt in die Gemeinschaft
der menschlichen Schuld. Er will sich nicht von der Schuld
freisprechen, in der die Menschen, die er liebt, leben. Eine
Liebe, die den Menschen in seiner Schuld allein ließe, hätte
nicht den wirklichen Menschen zum Gegenstand. So wird Jesus
in der stellvertretenden Verantwortung für die Menschen, in
seiner Liebe zum wirklichen Menschen, zum Schuldbeladenen,
ja zu dem, auf den zuletzt alle Schuld der Menschen fällt und
der sie nicht von sich weist, sondern sie demütig und in unendlicher
Liebe trägt. Als im geschichtlichen Dasein des Menschen
verantwortlich Handelnder, als in die Wirklichkeit eingegangener
Mensch wird Jesus schuldig. Weil aber sein geschichtliches
Dasein, sein Kommen ins Fleisch seinen einzigen Grund
in Gottes Liebe zu den Menschen hat, darum ist es die Liebe
Gottes die Jesus schuldig werden läßt. Aus der selbstlosen Liebe
zum Menschen, aus der Sündlosigkeit heraus tritt Jesus in die
Schuld der Menschen ein, nimmt er sie auf sich.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Ethik
, DBW Band 6, Seite 232 f

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