Teilnehmen am Leiden Gottes

Könnt ihr nicht eine Stunde mit mir wachen?« fragt Jesus
in Gethsemane (Matthäus 26, 40 b). Das ist die Umkehrung
von allem, was der religiöse Mensch von Gott erwartet. Der
Mensch wird aufgerufen, das Leiden Gottes an der gottlosen
Welt mitzuleiden. Er muß also wirklich in der gottlosen Welt
leben und darf nicht den Versuch machen, ihre Gottlosigkeit
irgendwie religiös zu verdecken, zu verklären; er muß »weltlich
« leben und nimmt eben darin an den Leiden Gottes teil; er
darf »weltlich« leben, d. h. er ist befreit von den falschen religiösen
Bindungen und Hemmungen. Christsein heißt nicht in
einer bestimmten Weise religiös sein, auf Grund irgendeiner
Methodik etwas aus sich zu machen (einen Sünder, Büßer oder
einen Heiligen), sondern es heißt Mensch sein, nicht einen
Menschen Typus, sondern den Menschen schafft Christus in
uns. Nicht der religiöse Akt macht den Christen, sondern das
Teilnehmen am Leiden Gottes im weltlichen Leben. Das ist die
Umkehr, nicht zuerst an die eigenen Nöte, Fragen, Sünden,
Ängste denken, sondern sich in den Weg Jesu mithineinreißen
lassen, in das messianische Ereignis, das nun erfüllt
wird (Jesaja 53, 4): Führwahr, Er trug unsere Krankheit, und lud auf
sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und
von Gott erschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer
Missetat willen verwundet, und um unsrer Sünde willen zerschlagen.
Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten; und durch
seine Wunden sind wir geheilt.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Widerstand und Ergebung
, DBW Band 8, Seite 535, 536

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