Siehe, die Stunde ist hier

Ein Geheimnis hatte Jesus seinen Jüngern bis zum letzten
Abendmahl verborgen. Zwar hatte er sie nicht im Unklaren
gelassen über seinen Leidensweg. Aber das tiefste Geheimnis
hatte er ihnen noch nicht offenbart. Erst in der Stunde letzter
Gemeinschaft beim Heiligen Abendmahl konnte er es
ihnen sagen: Des Menschen Sohn wird überantwortet in die
Hände der Sünder – durch Verrat. Einer unter euch wird mich
verraten (Matthäus 26, 20-25).
Die Feinde allein können keine Macht über ihn gewinnen. Es
gehört ein Freund dazu, ein nächster Freund, der ihn preisgibt,
ein Jünger, der ihn verrät. Nicht von außen geschieht das
Furchtbarste, sondern von innen. Der Weg Jesu nach Golgatha
nimmt seinen Anfang mit Jüngerverrat. Die einen schlafen
jenen unbegreiflichen Schlaf in Gethsemane (Matthäus 26, 40),
einer verrät ihn, zum Schluß »verließen ihn alle Jünger und
flohen« (Matthäus 26, 56).
Die Nacht von Gethsemane vollendet sich. » Siehe, die Stunde
ist hier« – jene Stunde, die Jesus vorhergesagt hatte, von der die
Jünger seit langem wussten, und vor deren eintreten sie bebten,
jene Stunde, auf die sich Jesus so ganz bereitet und für die die
Jünger so ganz und gar unbereitet waren, die Stunde, die nun
mit keinem Mittel der Welt mehr hinauszuschieben war –
»siehe, die Stunde ist hier, daß des Menschen Sohn in der Sünder
Hände überantwortet wird« (Matthäus 26, 45 b-50).

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Illegale Theologenausbildung: Finkenwalde 1935-1937
, DBW Band 14, Seite 973 f

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