Leidenschaftliche Liebe und leidenschaftlicher Haß

Mein Freund warum bist du gekommen« (Matthäus 26, 49)?
Hört ihr, wie Jesus den Judas noch liebt, wie er ihn noch
in dieser Stunde seinen Freund nennt? Jesus will den Judas
noch jetzt nicht loslassen. Er läßt sich von ihm küssen, er stößt
ihn nicht zurück. Nein, Judas muß ihn küssen. Seine Gemeinschaft
mit Jesus muß sich vollenden. Jesus weiß es wohl, warum
Judas gekommen ist und dennoch: Warum bist du gekommen?
Und Judas, verrätst du des Menschen Sohn mit einem Kuß? Ein
letzter Ausdruck der Jüngertreue, vereint mit Verrat. Ein letztes
Zeichen der leidenschaftlichen Liebe, gepaart mit dem viel
leidenschaftlicheren Haß. Ein letzter Genuß an einer unterwürfigen
Geste, im Bewußtsein der Übermacht des davongetragenen
Sieges über Jesus. Ein bis ins tiefste hinein entzweites Tun,
dieser Judaskuß!
Von Christus nicht lassen können, und ihn doch preisgeben. Wer ist
Judas? Sollten wir hier nicht auch des Namens gedenken, den
er trug? »Judas« – sein Name heißt verdeutscht »Dank«. War
dieser Kuß nicht der Jesus dargebrachte Dank des entzweiten
Volkes des Jüngers und doch zugleich eine ewige Absage? Wer
ist Judas, wer ist der Verräter? Sollten wir angesichts dieser
Frage etwas anderes tun können, als mit den Jüngern sprechen:
Herr, bin ich’s, bin ich’s?

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Illegale Theologenausbildung: Finkenwalde 1935-1937
, DBW Band 14, Seite 978

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