Jesus steht vor Gott als der Gehorsame und als der Freie.
Als der Gehorsame tut er den Willen des Vaters in blinder
Befolgung des ihm befohlenen Gesetzes. Als der Freie bejaht er
den Willen aus eigenster Erkenntnis, mit offenen Augen und
freudigem Herzen, schafft er ihn gleichsam aus sich selbst heraus
aufs neue. Gehorsam ohne Freiheit ist Sklaverei, Freiheit
ohne Gehorsam ist Willkür. Der Gehorsam bindet die Freiheit,
die Freiheit adelt den Gehorsam. Der Gehorsam bindet das Geschöpf
an den Schöpfer, die Freiheit stellt das Geschöpf in seiner
Ebenbildlichkeit dem Schöpfer gegenüber. Der Gehorsam
zeigt dem Menschen, daß er sich sagen lassen muß, was gut ist
und was Gott von ihm fordert (Micha 6, 8), die Freiheit läßt den
Menschen das Gute selbst schaffen. Gehorsam weiß, was gut
ist, und tut es. Die Freiheit wagt zu handeln und stellt das Urteil
über Gut und Böse Gott anheim. Gehorsam folgt blind,
Freiheit hat offene Augen. Gehorsam handelt ohne zu fragen,
Freiheit fragt nach dem Sinn. Gehorsam hat gebundene Hände,
Freiheit ist schöpferisch. Im Gehorsam befolgt der Mensch den
Dekalog Gottes, in der Freiheit schafft der Mensch neue Dekaloge.
In der Verantwortung realisiert sich beides, Gehorsam
und Freiheit. Sie trägt diese Spannung in sich. Jede Verselbständigung
des einen gegen das andere wäre das Ende der Verantwortung.
Verantwortliches Handeln ist gebunden und doch
schöpferisch.
Quelle:
Ethik, DBW Band 6,
Seite 288