Ich bin da

Es geht durch unsere Zeit ein Suchen, ein ängstliches Tasten
und Fragen nach göttlichen Dingen. Über unsere Zeit ist
die große Einsamkeit gekommen, eine Einsamkeit, die es nur
dort gibt, wo Gottverlassenheit herrscht. Mitten in unsere
Großstädte in das größte wildeste Treiben ungezählter Menschenmassen
ist die große Not der Vereinsamung und der
Heimatlosigkeit hereingebrochen. Aber die Sehnsucht wächst,
daß doch die Zeit wiederkommen möchte, wo Gott unter den
Menschen weilt, wo Gott sich finden läßt. Ein Durst nach
Berührung mit göttlichen Dingen ist über die Menschen gekommen,
der brennend heiß ist und gestillt sein will. Und es
werden zur Zeit viele Arzneien feilgeboten, die diesen Durst
radikal zu löschen versprechen und nach denen hunderttausend
gierige Hände greifen – mitten über diesem wilden Treiben und
marktschreierischen Anpreisen neuer Mittel und Wege steht das
Eine Wort Jesu Christi: siehe ich bin euch…(Matthäus 28, 20).
Ihr braucht gar nicht viel zu suchen und zu fragen und geheimnisvollen
Spuk zu treiben, ich bin da; d. h. Jesus verspricht nicht
erst sein Kommen, schreibt nicht Wege vor, wie man zu ihm
gelangen könne, sondern sagt ganz einfach: ich bin da; ob wir
ihn sehen oder nicht, fühlen oder nicht, wollen oder nicht –
das ist alles ganz gleich der Tatsache gegenüber, daß Jesus da ist
bei uns, daß er einfach überall ist, wo wir sind, und daß wir dazu
nicht das Geringste tun können.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Barcelona, Berlin, Amerika 1928-1931
, DBW Band 10, Seite 469

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