Der Wille Gottes

Der Wille Gottes kann sehr tief verborgen liegen unter
vielen sich anbietenden Möglichkeiten. Weil er auch kein
von vornherein festliegendes System von Regeln ist, sondern in
den verschiedenen Lebenslagen ein jeweils neuer und verschiedener
ist, darum muß immer wieder geprüft werden, was der
Wille Gottes sei. Herz, Verstand, Beobachtung, Erfahrung müssen
bei dieser Prüfung miteinanderwirken. Eben weil es hier
nicht mehr um das eigene Wissen um Gut und Böse, sondern
um den lebendigen Willen Gottes geht, eben weil es nicht im
menschlichen Verfügen, sondern allein in der Gnade Gottes
steht, daß wir seinen Willen erkennen, und eben weil diese
Gnade jeden Morgen neu ist und sein will, darum steht es mit
diesem Prüfen des Willen Gottes so ernst. Weder die Stimme
des Herzens, noch irgendeine Eingebung, noch irgendein allgemeingültiges
Prinzip kann ja nun noch mit dem Willen Gottes
verwechselt werden, der sich nur jeweils neu dem jeweils Prüfenden
erschließt. … Weil ja das Wissen um Jesus Christus, weil
die Metamorphose, die Erneuerung, die Liebe, und wie man es
immer ausdrücken mag, etwas lebendiges ist und nicht etwas
ein für allemal Gegebenes, Feststehendes, Inbesitzgenommenes,
darum entsteht mit jedem neuen Tag die Frage, wie ich heute
und hier und in dieser Situation in diesem neuen Leben mit
Gott, mit Jesus Christus bleibe und bewahrt werde. Eben diese
Frage aber ist der Sinn des Prüfens, was der Wille Gottes sei.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Ethik
, DBW Band 6, Seite 323 ff

Gedanken zum 14. Mai

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