Zentrum und paradoxes Sinnbild

Weil Jesus am Kreuz in der Erniedrigung seine und Gottes
Liebe zur Welt bewährt, folgt auf den Tod die Auferstehung,
der Tod kann die Liebe nicht behalten. Die Liebe ist
stärker als der Tod (Hoheslied 8, 6 b). Das ist der Sinn des Karfreitags
und des Ostersonntags: Der Weg Gottes zum Menschen
führt zu Gott zurück. So schließt sich der Gottesgedanke Jesu
in der Kreuzesdeutung des Paulus zusammen; so wird das Kreuz
zum Zentrum und zum paradoxen Sinnbild der christlichen
Botschaft. Ein König, der ans Kreuz geht, muß der König eines
wunderlichen Reiches sein. Nur, wer die Tiefe Paradoxie des
Kreuzesgedankens versteht, kann den ganzen Sinn des Wortes
Jesu verstehen: Mein Reich ist nicht von dieser Welt (Johannes
18, 36). … Christus ist nicht der Bringer einer neuen Religion,
sondern der Bringer Gottes, also als der unmögliche Weg des
Menschen zu Gott steht die christliche Religion neben anderen
Religionen, der Christ kann sich auf seine Christlichkeit nie
etwas zu Gute tun, denn sie bleibt menschlich-allzumenschlich,
er lebt aber von der Gnade Gottes, die zu den Menschen kommt
und zu jedem Menschen kommt, der sich ihr erschließt und sie
im Kreuze Christi verstehen lernt; also nicht die christliche
Religion, sondern Gnade und Liebe Gottes, die im Kreuze
gipfelt, ist die Gabe Christi.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Barcelona, Berlin, Amerika 1928-1931
, DBW Band 10, Seite 320 f

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