Fromme Formel oder göttliches Wort?

Aus Gottes Mund gehen seine Forderungen und wollen
auf meine Lippen kommen (Psalm 119, 13). Leicht ist es
oft Gottes Wort im Herzen zu tragen, aber wie schwer geht es
manchmal über die Lippen! Es ist hier nicht an leeren Lippendienst
gedacht, sondern an das Lautwerden dessen, von dem
das Herz voll ist. Ist uns nicht angesichts großen Leides oftmals
der Mund wie zugeschlossen, weil wir fürchten, eine fromme
Formel an die Stelle des göttlichen Wortes zu setzen? Gibt es
nicht eine Atmosphäre der Leichtfertigkeit und Gottlosigkeit,
in der wir das rechte Wort einfach nicht mehr finden und
schweigen? Verschließt nicht uns oft genug falsche Scheu und
Menschenfurcht den Mund? Warnung und Ermahnung bleiben
unausgesprochen, Tröstung und Zuspruch bleiben versagt. Wie
gequält und ängstlich ist hier und da der Name Jesus Christus
über unsere Lippen gekommen! Es erfordert ein großes Maß
von geistlicher Erfahrung und Übung und zugleich kindlicher
Glaubenszuversicht »alle Forderungen« Gottes mit seinen
Lippen erzählen zu können, ohne zum geistlichen Routinier,
zum Sittenapostel, zum aufdringlichen Schwätzer zu werden.
Es muß schon das ganze Herz dem Worte Gottes gehören, ehe
wir es lernen auch unsre Lippen ganz in den Dienst Jesu Christi
zu stellen.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Illegale Theologenausbildung: Sammelvikariate 1937-1940
, DBW Band 15, Seite 521

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