Wir glauben an viel zu viel

Wir glauben ja an allerlei, wir glauben sogar an viel zu
viel – wir glauben an die Macht, wir glauben an uns
selbst, wir glauben an andere Menschen, wir glauben an die
Menschheit. Wir glauben an unser Volk, wir glauben an unsere
Religionsgemeinschaft – wir glauben an neue Ideen – aber wir
glauben über dem allem an den Einen nicht – an Gott. Und
dieser Glaube an Gott würde uns nämlich den Glauben an alle
die anderen Mächte nehmen, unmöglich machen. Wer an Gott
glaubt, der glaubt in dieser Welt an nichts anderes, denn er
weiß, es zerbricht und vergeht, aber er braucht auch an nichts
»anderes« zu glauben, denn er hat ja den, von dem alles kommt
und in dessen Hände alles fällt. Wir kennen die Siege, die ein
Mensch erringt, der wirklich an sich selbst glaubt, der an
irgendeine Macht oder Idee dieser Erde glaubt, so daß er sich
ihr gänzlich ergibt und lebt, er vermag Übermenschliches,
Unmögliches – wie viel größere Siege müßte erst der erringen,
dessen Glaube nicht nur ein subjektives Phantom, sondern der
lebendige Gott selbst ist. Die Wunder Jesu, die Wirkung Jesu,
sie waren ja nichts als sein Glaube. … Glauben heißt bedingungslos
trauen und wagen.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
London 1933-1935
, DBW Band 13, Seite 414 f

Gedanken zum 1. Juni

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