Halte dich an die Welt

Ob modern, ob unmodern – diese Frage steht heute, näher
wohl wie je, im Vordergrund aller Interessen, nicht nur
bei Mode- oder Gesundheitsfragen, sondern in allen Gebieten
menschlicher Interessen, in der Wissenschaft, Literatur, in der
Religion. Dienet der Zeit (Römer 12, 11), an diesem Wort scheiden
sich die Geister: die einen schreien dem Modernen schlechthin
zu, die anderen die bewußt Unmodernen schauen verklärt zurück
auf die gute alte Zeit. Auf die Frage willst du ein moderner
Mensch sein? Antworten die einen ebenso entschieden selbstbewußt
›ja‹ wie die anderen ›nein‹. Wie stellt sich der, der sich
Christ nennt dazu? Wie stellt er sich zum Wandel der Zeiten,
muß der Christ konservativ oder fortschrittlich denken, muß er
unmodern oder modern sein? Die Grundfrage jedes Christen ist
offenbar die Frage nach der Ewigkeit. Wie erlange ich hier mitten
in der Zeit die Ewigkeit? Da gibt es wohl nur einen Weg –
hinaus aus der Zeit, gleichgültig werden gegenüber all dem, was
hier geschieht, allein der Ewigkeit leben. Dagegen ruft uns unser
Wort »dienet der Zeit« auf: Ihr wollt die Ewigkeit finden,
nun so dienet der Zeit. Wie ein ungeheurer Widerspruch muß
uns dies Wort anmuten: willst du unvergängliches, so halte
dich an vergängliches, willst du ewiges, so halte dich an zeitliches
willst du Gott, so halte dich an die Welt.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Barcelona, Berlin, Amerika 1928-1931
, DBW Band 10, Seite 512 f

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