Keine abstrakte Ethik

Die Gestalt Christi ist eine und dieselbe zu allen Zeiten und
an allen Orten. Auch die Kirche Christi ist Eine über alle
Menschengeschlechter hinweg. Dennoch ist Christus nicht ein
Prinzip, demgemäß alle Welt gestaltet werden müßte. Christus
ist nicht der Verkündiger eines Systems dessen, was heute, hier
und zu allen Zeiten gut wäre. Christus lehrt keine abstrakte
Ethik, die koste es was es wolle, durchgesetzt werden müßte.
Christus war nicht wesentlich Lehrer, Gesetzgeber, sondern
Mensch, wirklicher Mensch wie wir. Er will darum auch nicht,
daß wir in erster Linie Schüler, Vertreter und Verfechter einer
bestimmten Lehre seien, sondern Menschen, wirkliche Menschen
vor Gott. Christus liebte nicht wie ein Ethiker eine Theorie
über das Gute, sondern er liebte den wirklichen Menschen.
Er hatte nicht wie ein Philosoph Interesse an dem »Allgemeingültigen
«, sondern an dem, was den konkreten wirklichen
Menschen dient. Nicht ob »die Maxime eines Handelns zum
Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung« werden könnte, kümmerte
ihn, sondern ob mein Handeln jetzt dem Nächsten dazu
half ein Mensch vor Gott zu sein. Es heißt ja nicht: Gott wurde
eine Idee, ein Prinzip, ein Programm, eine Allgemeingültigkeit,
ein Gesetz, sondern Gott wurde Mensch.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Ethik
, DBW Band 6, Seite 85 f

Gedanken zum 16. Juni

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