Christsein ist nicht Sache eines Augenblicks

Es gibt kein Stillstehen. Jede Gabe, jede Erkenntnis, die
ich empfange, treibt mich nur tiefer in das Wort Gottes
hinein. Für Gottes Wort brauche ich Zeit, um die Befehle
Gottes recht zu verstehen, muß ich oft lange über dem Worte
nachsinnen. Nichts wäre verkehrter als jene Aktivität oder
jene Gefühlsseligkeit, die dem Nachdenken und Nachsinnen
den Wert abspricht. Es ist auch nicht nur Sache der hierzu besonders
Berufenen, sondern Sache eines jeden, der in Gottes
Wegen gehen will. Zwar fordert Gott oft rasche, unverzügliche
Tat; aber er fordert auch Stille und Besinnung. So darf und muß
ich oft Stunden und Tage lang über ein und demselben Wort
bleiben, bis ich mit der rechten Erkenntnis erleuchtet werde.
Keiner ist so weit fortgeschritten, daß er dessen nicht mehr bedürfte.
Keiner darf sich wegen zu starker tätiger Beanspruchung
davon dispensiert glauben. Gottes Wort beansprucht meine
Zeit. Gott selbst ging ein in die Zeit und will nun auch, daß ich
ihm meine Zeit gebe. Christsein ist nicht die Sache eines
Augenblickes, sondern es will Zeit. Gott gab uns die Schrift,
aus der wir seinen Willen erkennen sollen. Die Schrift will gelesen
und bedacht sein, täglich neu. Gottes Wort ist nicht eine
Summe einiger allgemeiner Sätze, die ich jeder Zeit gegenwärtig
haben könnte, sondern sie ist das täglich neue Wort Gottes
an mich in dem unendlichen Reichtum der Auslegung.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Illegale Theologenausbildung: Sammelvikariate 1937-1940
, DBW Band 15, Seite 523 f

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