Zwischen menschlichem Ideal und Gottes Wirklichkeit

Es ist für jedes christliche Zusammenleben eine Daseinsfrage,
daß es gelingt, rechtzeitig das Unterscheidungsvermögen
zu Tage zu fördern zwischen menschlichem Ideal und
Gottes Wirklichkeit und zwischen geistlicher und seelischer
Gemeinschaft. Es entscheidet über Leben und Tod einer christlichen
Gemeinschaft, daß sie in diesen Punkten so bald wie
möglich zur Nüchternheit kommt. Mit andern Worten: ein
gemeinsames Leben unter dem Wort wird nur dort gesund bleiben,
wo es sich nicht als Bewegung, als Orden, als Verein, als
collegium pietatis auftut, sondern wo es sich als ein Stück der
Einen, heiligen, allgemeinen christlichen Kirche versteht, wo
es an Not, Kampf und Verheißung der ganzen Kirche handelnd
und leidend teilnimmt. Jedes Ausleseprinzip und jede damit
verbundene Absonderung, … ist für eine christliche Gemeinschaft
von größter Gefahr. Auf dem Wege der geistigen oder
geistlichen Auslese schleicht sich immer das Seelische wieder
ein und bringt die Gemeinschaft um ihre geistliche Kraft und
Wirksamkeit für die Gemeinde, sie treibt sie in die Sektiererei.
Der Ausschluß des Schwachen und Unansehnlichen, des
scheinbar Unbrauchbaren aus einer christlichen Lebensgemeinschaft
kann geradezu den Ausschluß Christi, der in dem
armen Bruder an die Tür klopft, bedeuten. Darum sollen wir
hier sehr auf der Hut sein.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Gemeinsames Leben/Das Gebetbuch der Bibel
, DBW Band 5, Seite 32 f

Gedanken zum 6. Juli

Leben und Werk

Bonhoeffer heute

Forschung

ibg