Wir haben uns daran gewöhnt, in der Religion etwas zu sehen,
was einem Bedürfnis der menschlichen Seele entspricht
und dies Bedürfnis stillt. Etwas, das von der Unruhe des
Daseins zur Ruhe, von der Hast in die Stille führen soll. Etwas,
in dem wir ganz fern von unserem beruflich – alltäglichen Leben
einmal ganz zu uns kommen. Wir sagen dann wohl, Religion sei
etwas Schönes, etwas Wertvolles, etwas Notwendiges im Leben.
Sie sei das einzige, was den Menschen im tiefsten glücklich
machen könne.
Aber wir vergessen darüber die eine entscheidende Frage, ob
Religion auch etwas Wahres sei, ob sie die Wahrheit sei. Denn
es könnte ja sein, daß die Religion wohl schön, aber nicht wahr
ist, und das dies alles eine schöne, fromme Illusion, aber eben
doch eine Illusion sei. Und der wütendste Kampf gegen die Religion
hat sich daran entzündet, daß man in der Kirche selbst
oft so geredet hat, als ob die Wahrheitsfrage die zweite Frage in
der Religion sei. Wer aber so redet, der sieht die Religion allein
vom Menschen und seinen Bedürfnissen her und nicht von
Gott und seinem Anspruch her. Und darum ist es wichtig, daß
uns das Eine ganz klar wird und daß wir uns dies vom Neuen
Testament sagen lassen, daß es der Religion wesentlich nur auf
eines ankommt, nämlich wahr zu sein. Wahrheit, das ist höchster
Wert nicht nur in der Wissenschaft, sondern noch viel
mehr und viel dringlicher in der Religion, auf die wir ja unser
Leben begründen wollen.
Quelle:
Ökumene, Universität, Pfarramt 1931-1932, DBW Band 11,
Seite 415