Und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.«
(1 Korinther 13, 3). Hier fällt das entscheidende Wort, an
dem sich der Mensch in der Entzweiung vom Menschen im
Ursprung scheidet: die Liebe. Es gibt eine Christuserkenntnis,
einen mächtigen Christusglauben, ja es gibt eine Gesinnung
und eine Hingabe der Liebe bis zum Tod – ohne Liebe. Das ist
es. Ohne diese »Liebe« zerfällt alles und ist alles verwerflich, in
dieser Liebe ist alles geeint und alles Gott angenehm. Was ist
diese Liebe? Sämtliche Definitionen scheiden hier aus, die das
Wesen der Liebe als menschliches Verhalten, als Gesinnung,
als Hingabe, als Opfer, als Gemeinschaftswille, als Gefühl, als
Leidenschaft, als Dienst, als Tat verstehen wollen. Dies alles,
ohne Ausnahme, kann es geben ohne »Liebe«. Alles was wir
Liebe zu nennen gewöhnt sind, was in den Abgründen der
Seele und in der sichtbaren Tat lebt, ja selbst was aus den frommen
Herzen an brüderlichem Dienst am Nächsten hervorgeht
– kann ohne »Liebe« sein, und das nicht darum, weil in
jedem menschlichen Verhalten immer noch ein »Rest« von
Selbstsucht vorhanden ist, der die Liebe gänzlich verdunkelt,
sondern weil Liebe überhaupt etwas ganz anderes ist als hier
darunter verstanden ist.
Quelle:
Ethik, DBW Band 6,
Seite 335 f