Liebe ist nicht die unmittelbare Personbeziehung, das Eingehen
auf das Persönliche, auf das Individuelle, im Gegensatz
zum Gesetz des Sachlichen, der unpersönlichen Ordnung.
Abgesehen davon, daß hier »Persönliches« und »Sachliches«
in ganz unbiblischer und abstrakter Weise auseinandergerissen
sind, wird hier die Liebe zu einem – noch dazu nur partiellen! –
Verhalten des Menschen. Die »Liebe« ist dann ein neben das
niedere Ethos des rein Sach- und Ordnungsgemäßen als Vervollkommnung
und Ergänzung tretendes höheres Ethos des
Persönlichen. Dem entspricht es, wenn man zum Beispiel Liebe
und Wahrheit miteinander so in Konflikt treten läßt, daß man
die Liebe als das Persönliche der Wahrheit als dem Unpersönlichen
überordnet. Womit man sich in direkten Widerspruch zu
dem Satz des Paulus setzt, daß die Liebe sich der Wahrheit freut
(1 Korinther 13, 6). Die Liebe kennt den Konflikt, durch den man
sie definieren möchte, gerade nicht, es gehört vielmehr zu
ihrem Wesen, daß sie jenseits jeder Entzweiung ist. Eine Liebe,
die die Wahrheit antastet oder auch nur neutralisiert, nennt
Luther mit klarem biblischem Blick eine »verfluchte Liebe«
und wenn sie auch im frömmsten Gewand aufträte. Eine Liebe,
die nur das Gebiet der persönlichen menschlichen Beziehungen
umfaßt, aber vor dem Sachlichen kapituliert, ist niemals die
Liebe des Neuen Testaments.
Quelle:
Ethik, DBW Band 6,
Seite 336