Diesseitiges Leben – 21. Juli 1944

Man lernt erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben.
Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich
selbst etwas zu machen – sei es einen Heiligen oder einen bekehrten
Sünder oder einen Kirchenmann (eine sogenannte
priesterliche Gestalt!), einen Gerechten oder einen Ungerechten,
einen Kranken oder einen Gesunden – und dies nenne ich
Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge
und Misserfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben, –
dann wird man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man
nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in
der Welt ernst, dann wacht man mit Christus in Gethsemane,
und ich denke, das ist Glaube, das ist Umkehr und so wird man
ein Mensch, ein Christ. (Vgl. Jeremia 45) Wie sollte man bei
Erfolgen übermütig oder an Mißerfolgen irre werden, wenn
man im diesseitigen Leben Gottes Leiden mitleidet? … Ich bin
dankbar, daß ich das habe erkennen dürfen und ich weiß, daß
ich es nur auf dem Wege habe erkennen können, den ich nun
einmal gegangen bin. Darum denke ich dankbar und friedlich
an Vergangenes und Gegenwärtiges.
Gott führe uns freundlich durch diese Zeiten; aber vor allem
führe er uns zu sich.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Widerstand und Ergebung
, DBW Band 8, Seite 542 f

Gedanken zum 21. Juli

Leben und Werk

Bonhoeffer heute

Forschung

ibg