Seelische Liebe macht sich selbst zum Selbstzweck, zum
Werk, zum Götzen, den sie anbetet, dem sie alles unterwerfen
muß. Sie pflegt, sie kultiviert, sie liebt sich selbst und
sonst nichts auf der Welt. Geistliche Liebe aber kommt von
Jesus Christus her, sie dient ihm allein, sie weiß, daß sie keinen
unmittelbaren Zugang zum andern Menschen hat. Christus
steht zwischen mir und dem Andern. Was Liebe zum Andern
heißt, weiß ich nicht schon im voraus aus dem allgemeinen
Begriff von Liebe, der aus meinem seelischen Verlangen erwachsen
ist, – das alles mag vielmehr vor Christus gerade Haß
oder böseste Selbstsucht sein, – was Liebe ist, wird mir allein
Christus in seinem Wort sagen. Die geistliche Liebe ist allein
an das Wort Jesu Christi gebunden. Wo Christus mich um der
Liebe willen Gemeinschaft halten heißt, will ich sie halten,
wo seine Wahrheit um der Liebe willen mir Aufhebung der
Gemeinschaft befiehlt, dort hebe ich sie auf, allen Protesten
meiner seelischen Liebe zum Trotz. … Seelische Liebe vermag
die geistliche Liebe niemals zu begreifen; denn geistliche Liebe
ist von oben, sie ist aller irdischen Liebe etwas ganz Fremdes,
Neues, Unbegreifliches.
Quelle:
Gemeinsames Leben/Das Gebetbuch der Bibel, DBW Band 5,
Seite 30