Wir machen es uns ja so leicht mit den anderen Menschen.
Wir stumpfen uns gänzlich ab und meinen, wenn
wir gegen jemand keine bösen Gedanken hegen, dann sei das
eben dasselbe als hätten wir ihm vergeben – und wir übersehen
dabei ganz, daß wir keine guten Gedanken über ihn haben –
und vergeben, das könnte doch heißen, lauter gute Gedanken
über ihn haben, ihn tragen, wo wir nur können. Und das gerade
umgehen wir, – wir tragen den andern Menschen nicht, sondern
wir gehen neben ihm her und gewöhnen uns an sein
Schweigen, ja nehmen ihn garnicht ernst – aber aufs Tragen
gerade kommt es an – den andern in allen Stücken tragen, in
allen seinen schwierigen und unangenehmen Seiten, und sein
Unrecht und seine Sünde gegen mich – schweigen, tragen und
lieben ohne aufhören, – das käme dem Vergeben nahe. …
Vergebung ist ohne Anfang und Ende, sie geschieht täglich
unaufhörlich, denn sie kommt von Gott. Das ist Befreiung aus
allem krampfhaften im Zusammensein mit dem Nächsten,
denn hier werden wir befreit von uns selbst, hier dürfen wir
alles eigene Recht aufgeben und dem andern allein helfen und
dienen.
Quelle:
Illegale Theologenausbildung: Finkenwalde 1935-1937, DBW Band 14,
Seite 907f