Ein geheimnisvoller Abgrund

Wieweit ein menschliches Handeln dem göttlichen Ziel
der Geschichte dient und also das Gute in der Geschichte
realisiert, darüber gibt es für den Menschen keine
letzte Gewißheit. Es bleibt dem verborgenen Rat Gottes vorbehalten.
Während für den Ideologen die Übereinstimmung einer
Tat mit der Idee den eindeutigen Maßstab über Gut und Böse
abgibt, muß sich der verantwortlich »wirklichkeitsgemäß«
Handelnde, der seine Tat Gott ausliefert, mit dem Glauben an
die vergebende und heilende Gnade Gottes trösten. Er kann
sein Recht nicht beweisen, weil ihm die lebendige Wirklichkeit
keinen eindeutigen Maßstab in die Hand gibt. Vielmehr tut
sich vor ihm noch ein tieferer geheimnisvollerer Abgrund auf.
Gott bedient sich des Guten wie des Bösen, um zu seinem Ziel
zu kommen und zwar – soweit menschliche Blicke reichen – in
der Weise, daß oftmals das »Gute« zum Unheil, das »Böse«
aber zum Heil wirkt. … Gott geht durch das Gute und Böse der
Menschen hindurch seinen eigenen Weg. Er erweist sich als
der, der allein das Gute tun will und dem jede Tat auf Zorn und
Gnade hin ausgeliefert werden muß. Bedeutet das die Aufhebung
des Unterschiedes zwischen Gut und Böse? Nein, aber es
bedeutet, daß kein Mensch sich in seinem eigenen Guten
rechtfertigen kann, da allein Gott das Gute tut. Die Macht der
göttlichen Lenkung der Geschichte wirft den Menschen auf die
göttliche Gnade.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Ethik
, DBW Band 6, Seite 226 f

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