Lebenswertes und Lebensunwertes Leben

Es gibt vor Gott kein lebensunwertes Leben; denn das Leben
selbst ist von Gott wertgehalten. Daß Gott der Schöpfer,
Erhalter und Erlöser des Lebens ist, macht auch das armseligste
Leben vor Gott lebenswert. Der arme Lazarus, der aussätzig vor
der Tür des Reichen lag und dem die Hunde die Wunden leckten,
jener Mann ohne jeden sozialen Nutzwert, jenes Opfer derer,
die das Leben nur nach seinem Nutzwert beurteilen, wird
von Gott des ewigen Lebens wert geachtet (Lukas 16, 19-31). Wo
sollte auch, außer in Gott, der Maßstab für den letzten Wert des
Lebens liegen? In der subjektiven Lebensbejahung? Darin mag
manches Genie von einem Idioten übertroffen werden. In dem
Urteil der Gemeinschaft? Hier würde sich alsbald zeigen, daß
das Urteil über sozial wertvolles oder wertloses Leben dem
Bedarf des Augenblicks und damit der Willkür ausgesetzt wäre
und daß bald diese bald jene Gruppe von Menschen von dem
Vernichtungsurteil getroffen würde. Die Unterscheidung zwischen
lebenswertem und lebensunwertem Leben zerstört früher
oder später das Leben selbst. Wir kommen um die Tatsache
nicht herum, daß gerade dieses sogenannte lebensunwerte
Leben unheilbar Kranker bei den Gesunden, bei Ärzten,
Pflegern, Verwandten das höchste Maß sozialer Opferbereitschaft
auslöst und daß aus solcher Hingabe gesunden Lebens an
krankes Leben höchst reale Nutzwerte für die Gemeinschaft
hervorgegangen sind.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Ethik
, DBW Band 6, Seite 188 f

Gedanken zum 12. August

Leben und Werk

Bonhoeffer heute

Forschung

ibg