Es mag einem idealistischen Denken befremdlich klingen,
daß in einer christlichen Ethik zuerst von den Rechten
und erst dann von Pflichten gesprochen wird. Aber wir stehen
eben nicht bei Kant, sondern bei der heiligen Schrift; und
gerade darum muß zuerst von den Rechten des natürlichen
Lebens gesprochen werden, das heißt von dem, was dem Leben
gegeben ist und erst dann von dem was von ihm gefordert wird.
Gott gibt, bevor er fordert. In den Rechten des natürlichen
Lebens wird ja nicht das Geschöpf, sondern der Schöpfer geehrt,
es wird der Reichtum seiner Gaben anerkannt. Rechte
gibt es nicht vor Gott, sondern das rein gegebene Natürliche
wird dem Menschen gegenüber zu Rechten. Die Rechte des
natürlichen Lebens sind der Abglanz der Schöpferherrlichkeit
Gottes mitten in der gefallenen Welt. Sie sind nicht in erster
Linie das, was der Mensch in eigenem Interesse einklagen
kann, sondern das, wofür Gott selbst einsteht. Die Pflichten
aber entspringen aus den Rechten selbst, wie die Aufgaben aus
den Gaben. Sie sind in den Rechten eingeschlossen. Indem wir
also im Rahmen des natürlichen Lebens jeweils zuerst von den
Rechten und dann von den Pflichten sprechen, geben wir dem
Evangelium im natürlichen Leben Raum.
Quelle:
Ethik, DBW Band 6,
Seite 173 f