Gewissen und konkrete Verantwortung

Weil das Gesetz nicht mehr das Letzte ist, sondern Jesus
Christus, darum muß in der Auseinandersetzung zwischen
Gewissen und konkreter Verantwortung die freie Entscheidung
für Christus fallen. Das bedeutet nicht einen ewigen
Konflikt, sondern die Gewinnung der letzten Einheit; denn der
Grund, Wesen und Ziel der konkreten Verantwortung ist ja
derselbe Jesus Christus, der der Herr des Gewissens ist. So wird
die Verantwortung durch das Gewissen gebunden, aber das
Gewissen durch die Verantwortung frei. Es zeigt sich nun, daß
es dasselbe ist, ob wir sagen: der Verantwortliche wird sündlos
schuldig, oder: allein der Mann des freien Gewissens kann
Verantwortung tragen. Wer in Verantwortung Schuld auf sich
nimmt – und kein Verantwortlicher kann dem entgehen – der
rechnet sich selbst und keinem anderen diese Schuld zu und
steht für sie ein, verantwortet sie. Er tut es nicht in dem frevelnden
Übermut seiner Macht, sondern in der Erkenntnis zu dieser
Freiheit – genötigt und in ihr auf Gnade angewiesen zu sein.
Vor dem anderen Menschen rechtfertigt den Mann der freien
Verantwortung die Not, vor sich selbst spricht ihn sein Gewissen
frei, aber vor Gott hofft er allein auf Gnade.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Ethik
, DBW Band 6, Seite 283

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