Der Ruf der Bergpredigt

Weil der Einzelne immer schon der in Verantwortung
Gestellte ist, darum ist die alte Frage, ob die Bergpredigt
(Matthäus 5-7) zwar dem Einzelnen als Einzelnen, nicht aber dem
in Verantwortung für andere Stehende gelte, falsch gestellt. Die
Bergpredigt selbst stellt den Menschen in Verantwortung für
andere und kennt keinen Einzelnen als Einzelnen. Sie begnügt
sich aber auch nicht damit, den Einzelnen für seine Aufgabe in
der Gemeinschaft vorzubereiten, sondern sie beansprucht den
Einzelnen in seinem verantwortlichen Handeln selbst. Sie ruft
ihn zu der Liebe, die sich im verantwortlichen Handeln am
Nächsten bewährt und deren Ursprung die Liebe Gottes ist, die
die ganze Wirklichkeit in sich schließt. Ebensowenig wie es
eine Begrenzung der Liebe Gottes zur Welt gibt, gibt es eine
Begrenzung der aus Gottes Liebe entspringenden menschlichen
Liebe auf bestimmte Lebensbereiche und -beziehungen. Die
Bergpredigt gilt als Wort der weltversöhnenden Liebe Gottes
entweder überall und jederzeit, oder sie geht uns ernstlich überhaupt
nichts an. … Die Kreuzigung Jesu Christi ist der zwingenste
Beweis dafür, daß Gottes Liebe allen Zeiten gleich nah
und gleich fern ist. Weil Gott die ganze Welt geliebt hat, darum
stirbt Jesus. Wir aber werden in diese selbe durch das Kreuz Jesu
besiegelte Liebe zur ganzen Welt hineingerufen.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Ethik
, DBW Band 6, Seite 241ff

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