Evangelium für die Armen

Was geht uns ein Evangelium an, das für die Schwächlinge,
die Unedlen, die Armen und Kranken gebracht
ist (Lukas 16, 19-31)?
… Ist es nicht geradezu zynisch, wenn man vom himmlischen
Trost redet, weil man irdischen Trost nicht geben will? Ist dies
Evangelium an die Armen nicht im Grunde Volksbetrug und
Volksverdummung? Zeigt es nicht, daß man im Grunde das
Elend gar nicht ernst nimmt, sondern sich zynisch hinter frommen
Phrasen verbirgt? Ach, unzählige Male ist es so geschehen –
wer wollte dies leugnen – bis in unsere Gegenwart hinein. Aber
ein Blick auf die Evangelien schon zeigt uns, was hier anders
ist. Jesus preist die Armen selig (Lukas 6, 20). … Kein zynisches
Vertrösten, sondern die eine große Hoffnung: Die neue Welt,
die frohe Botschaft, der barmherzige Gott, Lazarus in Abrahams
Schoß, die Armen und Ausgestoßenen bei Gott – jawohl das
mag furchtbar naiv und handgreiflich klingen. Aber wenn es
doch wahr wäre? Wenn es doch wahr ist? Ist es dann auch noch
naiv? Ist es dann auch noch ungeistig? Müssen wir dann nicht
gerade unsere Ohren aufmachen und hören und wieder hören
von dem unerhörten Geschehen, daß Lazarus – gestern und
heute – von Engeln in Abrahams Schoß getragen wird? Und
daß der Satte, der Volle, der herrlich und in Freuden lebt, der
reiche Mann ewigen Durst leiden muß?

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Ökumene, Universität, Pfarramt 1931-1932
, DBW Band 11, Seite 430 ff

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