Widerspruch zwischen Denken und Sagen

Die übliche Definition, dergemäß der bewußte Widerspruch
zwischen Denken und Sagen Lüge sei, ist völlig unzulänglich.
Hierunter würde z. B. der harmloseste Aprilscherz fallen.…
Sagt man nun, Lüge sei die bewußte Täuschung des anderen zu
dessen Schaden, so würde hierunter z. B. auch die notwendige
Täuschung des Gegners im Kriege oder in analogen Situationen
fallen. … Bezeichnet man ein derartiges Verhalten als Lüge, so
empfängt die Lüge dadurch eine sittliche Weihe und Rechtfertigung,
die ihrem Begriff in jeder Weise widerspricht. Daraus
geht zunächst hervor, daß Lüge nicht formal durch den Widerspruch
zwischen Denken und Sagen zu definieren ist. Dieser
Widerspruch ist nicht einmal ein notwendiger Bestandteil der
Lüge. Es gibt ein in dieser Hinsicht durchaus korrektes, unanfechtbares
Reden, das doch Lüge ist; so etwa wenn ein notorischer
Lügner zur Irreführung einmal »die Wahrheit« sagt, oder
wenn unter dem Schein der Korrektheit die bewußte Zweideutigkeit
schlummert oder die entscheidende Wahrheit bewußt
verdeckt bleibt. Auch ein bewußtes Verschweigen kann Lüge
sein, so wenig es andererseits Lüge sein muß.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Konspiration und Haft 1940-1945
, DBW Band 16, Seite 626 f

Gedanken zum 19. September

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