Aus Gottes Hand empfangen

Es ist eine überraschende Beobachtung, daß gerade in den
Psalmen, die über Bedrückung und Leiden der Gerechten
klagen, das Lob der Freundlichkeit Gottes, der es den Seinen
wohl ergehen läßt, besonders stark hervorbricht. Auch der
Beter des Psalmes 119 ist in Elend und Anfechtung gewesen.
Aber sollte nicht gerade der Fromme, der in Not geraten ist,
besonderen Grund haben zu danken für alle bisherige Bewahrung
und für jede Gabe, die ihm noch bis zur Stunde erhalten
blieb. Denn »das wenige, das ein Gerechter hat, ist besser als
das große Gut vieler Gottlosen« (Psalm 37, 16). Muß denn nicht
gerade er es wissen, daß das Gericht anfange am Hause Gottes
(1 Petrus 4, 17), daß er nichts als Zorn und Strafe verdient hätte,
wenn Gott nach Verdienst und Würdigkeit mit ihm hätte
handeln wollen? »Wohl denen« (Psalm 119, 1) – »selig« sagt
Jesus. Auch Luther hat in seiner ersten Übersetzung dieses
Psalmes 1521 das Wort mit »selig« übersetzt. Es ist im Hebräischen
dasselbe Wort. Selig – nicht weil sie keinen Mangel
haben, sondern weil sie alles aus Gottes Hand empfangen.

Dietrich Bonhoeffer

Quelle:
Illegale Theologenausbildung: Sammelvikariate 1937-1940
, DBW Band 15, Seite 505

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